„Allgäu 2000“ – Wirtschaft mit Zukunft
Überlegungen für ein Regionalkonzept Oberallgäu


Redemanuskript Kreistag Oberallgäu, 26. Juli 1996

Rudolf L. Schreiber, Pro Natur GmbH, Frankfurt am Main


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Horst Stern, der dieser Region in mehrfacher Hinsicht eng verbunden ist, sagte schon vor vielen Jahren: ,,Cassandra, die große Wahrsagerin, ist heiser geworden! Man hört ihr nicht mehr zu.“

Ich muss Sie trotzdem bitten, sich zu Anfang meines Referats ein paar Cassandra-Botschaften anzuhören. Dann komme sehr schnell aus dem Tal der Tränen, um Ihnen Wegzeichen für ein Konzept ,,Allgäu 2000 – Wirtschaft mit Zukunft“ aufzuzeigen.

Wenn sich die Umwelt und Gesellschaft weiterhin so fehlentwickelt wie bisher, ist der Tag nicht mehr fern, wo uns unsere Kinder fragen werden, was wir für die Erhaltung ihrer Zukunft getan haben. Denn was tun wir oder tun wir:

  • gegen die fortschreitende Zerstörung der Umwelt?
  • gegen die Konzentration auf dem Weltmarkt?
  • gegen die Gefährdung der sozialen Marktwirtschaft?
  • gegen den Verlust an regionaler Identität und Heimat?

Die Zeit drängt. Wir dürfen nicht länger die globalen und regionalen Auswirkungen der eskalierenden Umwelt- und Gesellschaftsprobleme ignorieren. Pragmatismus ist angesagt, Taten sind erforderlich. Wir brauchen keine neuen Gesetze, keine praxisfernen Gutachten. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Region, konkrete Vorschläge, Kooperationsbereitschaft, Kreativität, Mut und die Erkenntnis, daß wir eine Gegenentwicklung einleiten können.

Es gilt, eine chancenreiche und zukunftssichernde regionale Kreislaufwirtschaft anzuschieben als Gegenpol zur Weltwirtschaft, für die heute die Großkonzerne aufrüsten und den Standort Deutschland verlassen. Wir hören es täglich in den Nachrichten:

  • Nur noch wenige Nahrungsmittel-Multis wie Nestle, Philipp Morris, United Food und ein paar Handelskonzerne bestimmen den Weltmarkt für Nahrungsmittel.
  • Sechs international führende Getreidekonzerne halten 85 % des Welthandels, vier Zuckerunternehmen kontrollieren 60 % des Weltzuckermarktes.
  • Coca Cola verdrängt weltweit nationale Getränkespezialitäten. Franchise-Ketten unifomieren Handel und Gaststätten.

Wenn wir kritisch bilanzieren, verzeichnen wir nicht nur einen Niedergang der Natur, ein Aussterben von Arten, sondern auch einen Niedergang der Kultur, ein Aussterben von regionalen Produkten, Unternehmen, Arbeitsplätzen. Sicher bringt der Wandel auch Gutes, doch die Konzentration der Konzerne und die Fixierung auf den globalen Markt bietet weniger Vorteile und mehr Nachteile wie geringere Produktqualität und höhere Umweltbelastungen. Sie dient den Großen, nicht den Kleinen.

Untersuchungen belegen, dass heute in Europa bis zu 95 % der Waren- und Kapitalströme im großräumigen Austausch stattfinden. Diese Entwicklung muss sich umkehren. Durch eine Rückkehr zur Region müssen wir regionalwirtschaftliche Kreisläufe aufbauen und die Wertschöpfung in der Region auf 30 oder sogar 50 % steigern. Unsere Gesellschaft kann sich nicht länger energieverschwendende, unsinnige und großräumige Produktströme sowie den subventionierten Transport-fetischismus leisten.

Blick nach vorne:

Vor diesem Hintergrund wird eine Gegenstrategie immer dringlicher. Es geht darum, einen „fortschrittlichen Rückzug“ zu wagen: Die Rückkehr zur Region als Raum für neues Wirtschaften. Dabei geht es nicht nur um here Ziele wie Sicherung der Zukunft, sondern auch um höchst streitbare Dinge, um die Chance zur ökologischen und ökonomischen Revitalisierung von Regionen.

In der Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft und Wirtschaft gab es immer wieder Zeiten, wo – wegen aufziehender Krisen – ein Aufbruch ins Neuland notwendig war. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Carl Hirnbein im Allgäu, der vor rund 160 Jahren die Wandlung vom „blauen“ zum „grünen“ Allgäu eingeleitet hat und als „Notwender“ in die Geschichte einging.

Neue „Notwender“, visionäre Männer und Frauen braucht das Land. Politiker, Unternehmer und Naturschützer, die eine Allianz der Vernunft und Hoffnung für eine lebenswerte Zukunft in der Heimat Allgäu schmieden und als neue Gegenkraft zur großräumigen Orientierung auftreten.

Diese Neuorientierung braucht eine kreative Strategie. Einerseits müssen wir auf möglichst offene Weise auf die Probleme hinweisen, andererseits die einzigartigen Chancen herausstellen und wirkliche Verbraucherwünsche berücksichtigen. Wir müssen verdeutlichen (und wir haben die Wahrheit auf unserer Seite), daß einerseits

  • die Binnenpolitik der EG, geprägt von zentralistischem Denken, negative Folgen für die Umwelt und den Mittelstand hat,
  • die Liberalisierung des Straßenverkehrs und die versteckten Subventionen für Transportkosten nicht die Marktwirtschaft, sondern die Machtwirtschaft fördern,
  • übertriebene Verschärfungen der Hygieneverordnung in der Nahrungs-mittelindustrie die regionalen Firmen gefährden und die Konzentration fördern
  • die zentrale Produktion von Lebensmitteln und die weiten Transportwege Zusatzstoffe für die Haltbarmachung und aufwendige Verpackungsmaterialien notwendig machen, und daß andererseits
  • der Anbau, die Verarbeitung und die Vermarktung von Lebensmitteln in der Region viele Vorteile bieten. Qualität und Frische können optimiert werden, die Umweltbelastung kann verringert und heimische Arbeitsplätze gesichert werden.
  • Wenn Herkunft, Erzeugung und Verarbeitung eindeutig und beweisbar in der Region „beheimatet“ sind, gibt es mehr Transparenz, mehr Vertrauen auf Seiten der Kunden.

Wir müssen erkennen, daß der zukünftige Wettbewerb nicht mehr zwischen Regionen im Allgäu, sondern zwischen dem Allgäu und globalen Anbietern stattfindet. Die Allgäu-Binnenpolitik muß sich auf die Stabilisierung der einzelnen Regionen konzentrieren und die Allgäu-Außenpolitik auf die Vermarktung beweisbar besserer Produkte und Dienstleistungen.

Nachhaltigkeit

Ein Schlüsselwort für diese zukünftige Entwicklung heißt ,,Nachhaltigkeit“. Seit dem Umweltgipfel in Rio 1992 gilt Nachhaltigkeit (Sustainable Development) als ein grundsätzliches, weltweites Leitprinzip im Umgang mit den Ressourcen.

Vereinfacht gesagt, bedeutet Nachhaltigkeit:

  • Aus ökologischer Sicht: Sparsamer Umgang mit Rohstoffen und Energie sowie eine möglichst umfassende Einführung geschlossener Produktions- und Entsorgungskreisläufe.
  • Aus ökonomischer Sicht: Optimaler Einsatz menschlicher Ressourcen mit dem Ziel, Arbeit und Lebensqualität in der Region zu bieten.

Hierfür sind Wege zu finden, die nicht nur die Arbeit, sondern auch die Kaufkraft zur Wiederinvestition in der Region sichern. Unsere Wirtschaft fällt heute hinter den Wissensstand der Forstwirtschaft von vor 200 Jahren zurück. Diese hatte nach einer Periode des Raubbaus am Wald erkannt, daß man nur so viel Holz herausschlagen kann, wie nachwächst. Unsere heutige Volkswirtschaft mißachtet diese Erkenntnis und betreibt Kahlschlag am Mittelstand, vernichtet Arbeitsplätze und strebt Monokulturen für Großkonzerne an. Sie läßt keine zahlungsfähigen Verbraucher nachwachsen, sondern produziert Arbeitslose und zerstört damit langfristig ihre Existenzgrundlage und das Gesamtsystem.

Leitbild

Dieser Teufelskreis muß erkannt werden. Und wenn es schon keine nationalen, geschweige denn globalen Vordenker gibt, dann sollte es zumindest regionale Pioniere für ein neues Leitbild im Oberallgäu geben.

Kurz ein paar Erläuterungen zum Begriff „Leitbild“: Landschaften sind früher ohne Leitbilder zu dem geworden, was sie zu einem bestimmten Zeitpunkt waren. Der massive Strukturwandel in den letzten Jahrzehnten hat jedoch Nutzungskonflikte verstärkt und erfordert heute eine Neuorientierung durch übergeordnete Leitbilder:

  • Leitbilder sind Zielvorstellungen, die langfristige Entwicklungskonzepte verdeutlichen und möglichst alle Interessen der Betroffenen in der Region unter einen Hut bringen.
  • Leitbilder erfordern eine Umkehr des Denkens, ein Denken von den Grenzen der Region und einen Wandel vom Wettbewerb zur Kooperation.

Leitbilder müssen die Ziele von Rio 92 (Agenda 21) anstreben. Die Strategie auf dem Weg zum Ziel heißt für Regionen, sich möglichst von großräumigen Energie-, Stoff-, Produkt- und Kapitalströmen abzukoppeln. Es kommt darauf an, daß wir überschaubare Vernetzungen schaffen, das heißt, eine Neuorientierung im Sinne einer regionalen Kreislaufwirtschaft einleiten:

  • Regionale Kreislaufwirtschaft strebt in vollem Bewußtsein der globalen Zusammenhänge möglichst autonome regionale Initiativen und Kreislaufkonzepte an.
  • Regionale Kreislaufwirtschaft setzt auf mittelständische Unternehmen, handwerkliche Produktion, die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
  • Regionale Kreislaufwirtschaft strebt eine extensive Landwirtschaft an. Sie zielt auf die Schließung von Produktions- und Verbrauchskreisläufen, z.B. durch verstärkte Vernetzung von Landwirtschaft und Tourismus.
  • Regionale Kreislaufwirtschaft fördert die regionale Wertschöpfung und die Kooperationen mittelständischer Unternehmen, z.B. die Zusammenarbeit von Landwirten, Metzgereien und Gastronomie (Marketing-Kreisläufe).
  • Regionale Kreislaufwirtschaft setzt auf die Vermeidung von Abfüllen, Verpackungen und kurze Transportwege.
  • Regionale Kreislaufwirtschaft zielt auf die Versorgung mit Rohstoffen und Produkten, die von so nah wie möglich beschafft werden; und sie zielt auf den Verkauf der eigenen Erzeugnisse zu fairen Preisen in der Region und in nahegelegenen Ballungsgebieten.
  • Regionale Kreislaufwirtschaft hat auch zum Prinzip, daß die Wirtschaft die Probleme des Naturschutzes mitdenkt und dieser die Probleme der Wirtschaft. Neues Denken ist also angesagt.

Aus all diesen Gründen und Schlußfolgerungen ergibt sich für den Landkreis Oberallgäu eine einzigartige Chance. Der Landkreis Oberallgäu könnte sich im Sinne der Agenda 21 von Rio als Modellregion verstehen und ein nachhaltiges Wirtschaften im Einklang mit der Natur anstreben. Er könnte als einer der ersten Landkreise mit einem praxisorientierten Leitbild für regionale Kreislaufwirtschaft zum Vorbild werden und folgende Ziele erreichen:

  • Die Erhaltung der Kulturlandschaft als das Kapital für zukünftiges Wirtschaften und die Sicherung der Lebensqualität im Allgäu.
  • Die Stärkung des Tourismus als vernetzter Wirtschaftszweig und großer Arbeitgeber.
  • Eine Renaissance der heimischen Kultur als attraktiver Bestandteil des Angebots.
  • Die Sicherung und Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen, die wieder ermöglichen, Arbeit als Fortsetzung der Schöpfung zu verstehen.

Richtlinien

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind keine Phrasen, sondern Eckpfeiler einer Denkhaltung, die sich konkret umsetzen lassen. Ein paar Richtlinien und Beispiele sollen dies verdeutlichen.

  • Energiekreisläufe schließen: Das erfordert Rückbesinnung auf regionale Energie-Ressourcen, wie zum Beispiel die Nutzung der Gülle als Energiequelle für Bio-Gasanlagen und die Nutzung der Sonnenenergie (240 Sonnentage im Allgäu) für moderne Solar-Technologien. 
  • Verkehrskreisläufe schließen: Notwendig ist eine Verbesserung der überregionalen Vernetzung mit der Deutschen Bahn; der Pendlerverkehr muß vermindert, der Verkehr auf den Nebenstraßen reduziert und der ÖPNV gefördert werden.
  • Produkt- und Dienstleistungskreisläufe schließen: Hierbei geht es generell um umweltfreundliche Produktion und dezentrale Verarbeitung der Produkte in mittel-ständischen Unternehmen. Solche Kooperationen darf man jedoch, wie die Erfahrung in der Rhön zeigt, nicht dahindümpeln lassen. Sie erfordern eine professionelle, kontinuierliche Betreuung.

Weitere wesentliche Voraussetzungen: Einführung von Qualitätsrichtlinien und strengen Kontrollen. Qualität muß oberstes Gebot sein. Allgäuer Bauern haben keine Alternative, als auf die höchstmögliche Qualität ihrer Produkte zu setzen. Da sie vorwiegend von der Milch leben, muß deren objektive Qualität erhöht und ihr Image verbessert werden. Qualitätsmilch kann von jedem Bauern in Deutschland produziert werden, jedoch „Allgäuer Heumilch“ und „Original Allgäuer Käse“ nur von den Bauern im Allgäu.

  • Kapitalkreisläufe schließen: Schließlich kommt es auch darauf an, eine höhere Unabhängigkeit von nationalen und internationalen Kapitalströmen anzustreben, um eine höhere regionale Eigenbestimmung zu schaffen. Es geht um eine Reaktivierung der lokalen Investitionspotentiale, um neue Kooperationen und Beteiligungen von mittelständischen Unternehmen sowie unternehmerische Initiativen (Raiffeisen).

Das geschilderte Szenario verdeutlicht, dass es bei zukünftigen gemeinsamen Strategien nicht darum geht, einzelne Produkte oder Leistungen zu stärken, sondern das System Oberallgäu zu stärken. So wie der Wald mehr ist, als die Summe seiner Bäume, so muss der Landkreis Oberallgäu mehr sein, als seine einzelnen Produkte und Leistung.

Der Landkreis Oberallgäu sollte sich zu einer Marke entwickeln, die eine ganzheitliche, zukunftsorientierte Qualität garantiert, die alle Faktoren berücksichtigt wie Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft, Produktqualität und damit auch Lebensqualität für die zukünftigen Generationen in einer einzigartigen Heimat. Für ein solch ökologisches und gesellschaftlich orientiertes regionales Marketing muß es einen Absender und eine Zuständigkeit geben. Ich denke, beide können nur beim Landratsamt liegen, das sich jedoch von einer Behörde in manchen Bereichen zu einem Unternehmen im Sinne einer Landkreis-Holding entwickeln sollte. In der Annahme, daß dies Redemanuskript Kreistag Oberallgäu am 26.7.1996 zum letzten Teil des Referats, einer Skizze der Vorgehensweise für die Erarbeitung des Konzeptes „Allgäu 2000″.

Der Großraum Allgäu, Anrainergebiete wie das Walsertal, Reuthe usw. außer Acht gelassen, umfasst die Regionen Lindau, Oberallgäu, Ostallgäu und Westallgäu. Alle 4 Gebietskörperschaften haben jetzt die „Allgäu-Initiative“ ins Leben gerufen. In dieser Initiative ist der Landkreis Oberallgäu durch Herrn Landrat Kaiser vertreten. Ich rege an, dass die Allgäu-Initiative ein übergeordnetes Leitbild für die Gesamt-region entwickelt. Hierbei geht es um die Festlegung großer infrastruktureller Einrichtungen, auf die sich alle einigen sollten.

Sicher möchte jede der vier Gebietskörperschaften einen Flughafen, eine Großsportanlage, ein Erlebnisbad usw. Doch das wäre falsch. Ziel muß sein, sich auf wenige richtige Projekte am richtigen Standort zu einigen und neue Beteiligungsmodelle zu Redemanuskript Kreistag Oberallgäu am 26.7.1996 realisieren, die den Nutzen der Großprojekte nach fairem Schlüssel auf alle Regionen verteilt.

Nach Verabschiedung der Allgäu-Richtlinien ist ein Leitbild für den Landkreis Oberallgäu zu erarbeiten. Das heißt, die Ausarbeitung einer langfristigen Gesamtkonzeption, einer neuen Landkreis-Corporate Identity, die die Region als Gesamtprodukt versteht und als „Landkreismarke“ herausstellt. Eine solche Konzeption wurde unseres Wissens bisher noch nicht realisiert und würde es erlauben, den Landkreis als Pilotregion zu kommunizieren. Doch damit nicht genug. Einen innovativen Ansatz sehen wir darin, dass der Landkreis als Puzzle-Bild verstanden wird, das sich wiederum aus einzelnen kommunalen Leitbild-Puzzles zusammensetzt.

Mit anderen Worten: In Abstimmung mit dem Landkreisleitbild sollten Kommunenleitbilder erarbeitet werden mit dem Ziel, dass innerhalb eines großen Rahmens jede Kommune eine ganz individuelle Profilierung (durch ein möglichst innovatives Projekt) erhält. Zum Beispiel:

  • Autofreier Kurort Oberstdorf
  • Ökohotel-Neubau in Oberstaufen
  • Öko-Alp in Steibis usw .

Wenn der Kreistag dieser Konzeption zustimmt, muss das Landkreis-Leitbild erarbeitet und verabschiedet werden. Danach ist das Corporate Design und eine Marke zu entwickeln. Das Leitbild definiert die Persönlichkeit Oberallgäu, das Design ist der Maßanzug.

Umsetzung

Die Umsetzung einer solchen gemeinsamen Strategie bringt klare Vorteile:

  • Sie erhöht die Bekanntheit der Region
  • Sie erlaubt eine eindeutige Positionierung im Markt
  • Sie sichert den Aufbau eines eigenständigen Images
  • Sie differenziert vom Wettbewerb
  • Sie ermöglicht durch höhere Qualität höhere Preise
  • Sie sichert Heimat und Lebensqualität

Kurzum: Sie fördert die Zusammenarbeit zum Vorteil aller Beteiligten; Produkte werden erlebbare Heimat und Heimat bietet Identität gegenüber der zunehmenden Anonymität in Europa und einem wachsenden Weltmarkt. Für die Verfolgung des vorgeschlagenen Konzeptes „Allgäu 2000″ sind konkrete Entscheidungen und Schritte notwendig:

Erstens: Die Durchführung einer repräsentativen Bürgerumfrage. Es wird heute zu viel von oben herab und zu wenig von unten herauf diskutiert. Kein Regionalkonzept konnte bisher gegen die Bevölkerung erfolgreich umgesetzt werden. Wir empfehlen deswegen eine Erforschung der Bürgerwünsche und deren Einbindung in das Konzept durch eine repräsentative Bürgerumfrage.

Zweitens: Die Erarbeitung einer ökologisch-ökonomischen Grundlagenanalyse zur Sammlung aller Probleme. Hierbei werden nach einem Leitfaden die ökologischen Problemfelder, z.B. Wasser, Wald, Artenvielfalt usw., sowie die ökonomischen Problemfelder, z.B. Tourismus, Landwirtschaft, Handwerk usw., erfasst.

Drittens: Nach kompletter Erfassung der Probleme sind Lösungen auszuarbeiten und Projekte auszuwählen, die sich publikumswirksam, schnell und praktisch umsetzen lassen.

Viertens: Dem Abschluss der Grundlagenanalyse sollte die Entwicklung einer Marketingkonzeption folgen, deren Realisierung in einer ersten Stufe die primären Bereiche Landwirtschaft und Tourismus betreffen sollten. Hierbei geht es:

  • um die Entwicklung eines Qualitätssiegels Oberallgäu,
  • um die Ausarbeitung von Richtlinien für die Vergabe des Siegels,
  • um eine Einführungskampagne zur Durchsetzung des Qualitätssiegels in der Region
  • um eine bundesweite Werbung und Pressearbeit für das Oberallgäu, seine Produkte, Dienstleistungen und die Urlaubsregion mit hoher Lebensqualität.

Alle Bemühungen einer solchen Dachkampagne sollen darin münden, den Landkreis Oberallgäu als lebenswerte Region mit Zukunft zu sichern. Zwei bisherige Ergebnisse unserer Arbeit sollten Ihnen Mut machen, den Weg zu verfolgen:

Erstens: Zur Absicherung der „Dosenfreie Zone im Allgäu“ haben wir im September 1995 eine repräsentative Kurzbefragung durchgeführt. 90 % der Befragten waren für die ,,Dosenfreie Zone“. Auf die Frage, ob im Landkreis Oberallgäu mehr Initiativen für eine ökologische Wirtschaftsentwicklung unternommen werden sollten, antworteten 75 % der Befragten mit Ja. Auf die Frage, in welchen Bereichen mehr für eine umweltfreundliche Entwicklung im Oberallgäu getan werden sollte, erwähnten 78 % den Verkehr, 63 % den Tourismus, 56 % die Landwirtschaft und 24 % die Gastronomie.

Zweitens: Unter dem journalistischen Aufhänger „Signale von der Deutschen Bahn AG“ kann ich für eine Zusammenarbeit mit der DB motivieren. Die Deutsche Bahn AG als Dienstleister Nummer 1 versteht sich als Systempartner mit großer Bereitschaft zur Umweltorientierung und hohem Potential für externe Impulse. Pro Natur hat die Aufgabe, mitzudenken und so haben wir – Ihr Einverständnis voraussetzend – über folgende Möglichkeiten mit der Deutschen Bahn gesprochen:

Der Landkreis Oberallgäu bildet eine Projektgruppe zur Optimierung der bisherigen Zusammenarbeit und Nutzung des Streckennetzes der Deutschen Bahn in Ihrem Einzugsgebiet, um das Angebot zu verbessern und neue Ideen zu entwickeln. Die Deutsche Bahn hat ihr elektronisches Fahrplan- und Verkehrsauskunftssystem EVA zum EVA-Plus-System entwickelt. Das heißt: In Zukunft werden überregionale Verkehrsdaten optimal mit lokalen Daten vernetzt werden können. Der neue Service informiert nicht nur über die Fahrt von A nach B, sondern über weitere Angebote. So können auch Eintrittskarten für Veranstaltungen gebucht werden.

Mit dem EVA-Plus-System realisiert die Deutsche Bahn ein Medium, das den Regionalverkehr im Nahbereich attraktiver macht und damit dem motorisierten Individualverkehr konkurrenzfähiger gegenübertritt. Da sich auf diesem Gebiet die Interessen des Landkreises mit denen der Deutschen Bahn decken, empfehlen wir, daß sich der Landkreis Oberallgäu als Entwicklungspartner der Deutschen Bahn AG anbietet.

Des Weiteren plant die Deutsche Bahn AG die Renovierung und den Umbau der Bahnhöfe in Oberstdorf, Sonthofen, Immenstadt und Oberstaufen. Wir haben empfohlen, das dies in enger Zusammenarbeit mit dem Landkreis umzusetzen und Bahnhöfe nicht nur als Treffpunkt für die Ankunft und Abreise zu beurteilen sind, sondern vielmehr als Zentren einer zukünftigen regionalen Entwicklung.

Die Deutsche Bahn hat weiterhin zum Ziel, Abfall zu vermeiden bzw. optimal einer Verwertung zuzuführen. Sie wird deswegen mit großer Wahrscheinlichkeit Partner der Aktion „Dosenfreie Zone im Allgäu“ mit den Zielen „Dosenfreier Bahnhof‘ und ,,Dosenfreie Bahn“.

Neben diesen bereits gestarteten Initiativen ist eine gemeinsame Kampagne unter dem Motto „Schöner Urlaub ohne Auto“ möglich. Auch hierfür empfiehlt sich eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG.

Die wenigen Beispiele sollen Ihnen zeigen, dass es neue und innovative Möglichkeiten gibt, mit aufgeschlossenen Partnern neue Wege zu gehen, auch wenn wir die alten Gleise nutzen. Bleibt anzumerken, dass es jedoch nicht nur um neue Konzepte und neue Partnerschaften geht, sondern auch darum, dass bereits vorhandene Projekte wie in Oberstdorf oder Hindelang professioneller vernetzt und wirksamer bekanntgemacht werden. So manches Projekt – das ist unser Eindruck – wurde nach dem Motto vermarktet „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Allgäu-Stilzchen heiß“. Man spricht darüber, aber keiner kennt es genau!

Mir geht es jedoch nicht um Rückblick und Kritik, sondern um Vorausschau und Anregung. Visionen bestimmen die Zukunft und Kreativität ist die Mutter der Hoffnung. Ich bitte Sie deshalb herzlich darum, Hebamme für das neue Konzept zu werden und es durch persönliches Engagement zu unterstützen. Die Zukunft braucht Sie, neue „Notwender“. Persönlichkeiten, die das Staffelholz übernehmen, um aus einem grünen Allgäu ein buntes Allgäu – eine Heimat mit Zukunft zu machen

Rudolf L. Schreiber

26.7.1996