Vortrag: Hafenlohrtalfest, Erlenfurt
Tag/Zeit: 4.9.05, 14.00 Uhr (20 Min), Erlenfurt


Aufruf zur Konsumenten-Demokratie

Neuorientierung für eine nachhaltige Entwicklung


Einführung und Bilanz

1975 – 30 Jahre

  • Welt in Ordnung
  • Wirtschaftswachstum
  • Bundeskanzler Helmut Schmidt
  • 1 Million Arbeitslose
  • Ökologie kein Thema; Naturschutz Hobby
  • Gründung BUND, Marktheidenfeld

1985 – 20 Jahre

  • Nachlassendes Wirtschaftswachstum
  • Bundeskanzler Helmut Kohl
  • 2,3 Millionen Arbeitslose
  • Naturschutz wird zum Thema
  • Initiative Hafenlohrtal. 8. Jahresfest. „stern“

1995 – 10 Jahre

  • Zusammenbruch des Kommunismus
  • Machtanspruch Vereinigte Staaten
  • Globalisierung; Konzentration der Konzerne
  • 3,8 Millionen Arbeitslose
  • Aktualisierung Agenda 21 (1992)
  • Naturschutz verliert an Bedeutung

2005 – Status und Ausblick

  • Naturschutz ist die schicke Sorge reicher Gesellschaften in guten Zeiten
  • Hohes Umweltbewusstsein – niedriger Stellenwert
  • Geringes Engagement; Mitgliederrückgang (Jugend)
  • Mangelnde Finanzierung; Innovationskraft und Chancen nicht erkannt

Weitere Naturzerstörung…
Vernichtung von Arbeitsplätzen…
Soziale Ungerechtigkeit…
Keines der großen Probleme ist gelöst …

Positive Perspektiven

  • Bessere Umwelttechnologie
  • Bessere Umweltgesetze
  • Internationale Zusammenarbeit
  • Höheres Umweltbewusstsein
  • Mehr Nationalparke und Naturschutzgebiete
  • Rückkehr des Bibers – Rettung des Wanderfalkens

Es gibt viele positive Aspekte, unter dem Strich jedoch hat die Naturschutzbewegung versagt.

Was haben wir falsch gemacht?

  • Fehler 1: Machtfrage ignoriert (Geld)
  • Fehler 2: Naturschutzbewegung nicht organisiert

Wenn wir Naturschützer nicht als Glühwürmchen der Vergänglichkeit in die Geschichte eingehen wollen, benötigen wir eine Neuorientierung der Naturschutzbewegung.

Strategien zur Erreichung der Ziele

  • Einfluss durch die Politik; Bürgerauftrag an Parteien
  • Einfluss durch neue, nachhaltige Konsumorientierung und Aufbau einer Konsumenten-Demokratie
  • Revitalisierung der Naturschutzbewegung und Neuorganisation des DNR
  • Nachhaltigkeitskampagne: fünf Millionen – eine Stimme.

Die organisierten 5 Millionen Naturschutz-Interessierten (DNR) müssen sich zu einer treibenden Kraft neben Politik und Wirtschaft entwickeln.

Da die Politik versagt, die Wirtschaft gegensätzliche Interessen verfolgt, kann eine Veränderung nur durch eine Neuorientierung des Konsums zu einer Mitbestimmung führen.

Der Naturschutz muß sich als treibende Marktkraft entwickeln und an der Wertschöpfung verdienen, um nicht am Spendentropf der Intensivstation der Industriegesellschaft zu hängen.

Die angekündigte Wende zur nachhaltigen Entwicklung muß von der Naturschutzbewegung angestoßen werden. Von wem denn sonst?

Vom Naturschutz zu nachhaltiger Nutzung.

Versagen der Politik

  • Die Politik hat ihre Verantwortung in der Garderobe der Wirtschaft abgehängt.
  • Konrad Adenauer – Angela Merkel; Theodor Heuss – Guido Westerwelle; Willi Brandt – Oskar Lafontaine.
  • Mit dem Verschwinden an politischen Persönlichkeiten geht ein Verlust an Visionen für die Politik einher.
  • Zur Wahl stehen keine echten Alternativen, geschweige denn glaubwürdige, beweisbare Innovationen zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme, zur Wahl stehen lediglich parteipolitische Markenartikel wie SPD, CDU und FDP, die zunehmend nach amerikanischer Methode vermarktet werden.

Aktuelle Entwicklung

  • Die Welt ist nicht mehr in Ordnung. Die fortschreitende Globalisierung und Konzentration des Kapitals:
    – zerstört Natur
    – vernichtet Arbeit
    – schafft soziale Ungerechtigkeit
  • Seit Wegfall der Mauer und dem Aufbau eines weltumspannenden Netzes von Kommunikation, Datentransfer, Logistik usw. sind die Umfeldbedingungen extrem verändert und führen mit Sicherheit zum größten Paradigmenwechsel in der Geschichte der Menschheit.
  • Nicht neu ist die Globalisierung: Wasserkreislauf, Stoffströme, Zugvögel usw.
  • Nicht neu ist der Welthandel und der Austausch kultureller Errungenschaften
  • Neu ist die globale Dimension der Ausbeutung und der globale Machtausbau durch Billigpreise
  • Neu ist das Abwandern der Arbeit an Billiglohn-Standorte und das Einwandern von Menschen in Wohlstandsstaaten

Neuorientierung zur Bürgergesellschaft

  • Der Niedergang in der Politik, die Fehlentwicklung in der Wirtschaft, die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Massenproduktion, letztendlich auch steigende Ölpreise, zunehmende Krankheitskosten usw. haben letztlich ihren Ursprung in den marktwirtschaftlich orientierten Demokratien.
  • Mit jedem globalisierten Einheitsprodukt (1 Mrd Coca Cola täglich) fördern wir die Konzentration der Wertschöpfung auf wenige Partner und finanzieren damit Unfrieden in der Welt sowie ihre Spaltung in arm und reich.

Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht leiden können.

Entwicklung und Folgen

Wenn wir weiter konsumieren wie bisher, wenn wir weiter kaufen wie bisher, dann wird die Entwicklung weiter verlaufen wie bisher:

  • Der Energieverbrauch wird steigen
  • Das Wasser wird knapp
  • Ressourcen werden verbraucht
  • Die Kosten werden ins Unermessliche steigen

Den konventionellen Konsum durch Werbung weiter anheizen, auf weiteres Wirtschaftswachstum nicht nur zu hoffen, sondern zu fördern, führt zur kollektiven Selbstvernichtung:

  • 10 % der Weltbevölkerung verbrauchen rund 80 % der Ressourcen
  • Weltweit leben 1,2 Mrd Menschen von weniger als 1 Dollar pro Tag
  • Die Weltgesellschaft spaltet sich zu einer 20 : 80 Zwei-Klassen-Gesellschaft

Die hohe Arbeitslosigkeit ist nicht die Folge der Wirtschaftskrise, sondern die Konsequenz der epochalen Veränderung. Die Arbeit muß neu definiert werden. Die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Ehrenamt oder Bürgerarbeit muß neu gezogen werden. Wirtschaftswachstum schafft keine Arbeitsplätze:

  • Die Nachfrage nach Arbeit sinkt durch den Einsatz intelligenter Technologien
  • Energieeinsatz und Maschinen ersetzen menschliche Arbeit
  • Mehr alte Menschen schaffen mehr Arbeit für junge Menschen
  • Wachstum muß in Zukunft als Veränderung verstanden werden

Wir brauchen ein qualitatives Wachstum, neue Ideen, Reformen, Veränderungen. Wir brauchen ein Wachstum zum Überleben, kein Wachstum zur Gewinn-Maximierung für Minderheiten.

Wie es weitergehen wird, weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Eine Weltgesellschaft, die:

  • Natur zerstört
  • Arbeit vernichtet
  • Gesellschaft ausbeutetet

ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig. Wir brauchen deshalb eine neue Sicht der Wirklichkeit, eine Neuorientierung im Konsumverhalten und eine Rückbesinnung auf Regionen als Gegenkraft zur Globalisierung.

Die Revolution aus der Region

Revolution ist die Bezeichnung für eine besondere Form des historischen Wandels. Ihr wichtigstes Merkmal ist nicht die gewaltsame Aufhebung, sondern eine friedvolle Umgestaltung.

  • Konkret: Von der Ausbeutung durch Konsum, von Wegwerf- und Billigprodukten…
  • zu einer zukunftsfähigen Konsumenten-Demokratie für nachhaltige Regionalentwicklung.

Es geht nicht um Konsumverweigerung, sondern um Veränderung und es geht um eine Akzeptanz von fairen Preisen als Gegenpol zum Billigpreis.

Die Idee der Konsumenten-Demokratie baut auf die Hoffnung der Auferstehung des mündigen Bürgers, eine dauerhafte Mitarbeit an demokratischen Prozessen und dem Aufbau einer nachhaltig orientierten Gesellschaft, die sich von der Befriedigung künstlicher Bedürfnisse abwendet.

Es geht um eine Revolution unseres Kaufverhaltens, und damit um einen Wandel unseres Verständnisses und um die Bereitschaft, uns weg vom schnelllebigem Plunder zu einem enkelverträglichen Lebensstil zu entwickeln.

Zwei Drittel des Bruttosozialprodukts werden in Deutschland durch den privaten Konsum erzielt. Für diese zwei Drittel will die Idee der Konsumenten-Demokratie Mitspracherecht:

  • Wir wollen wissen, was wir kaufen
  • Wir wollen wissen, wie es der Zukunft dient

Letztendlich gibt es auf einer begrenzten Welt kein unbegrenztes Wachstum und keine grenzenlose Befriedigung aller Bedürfnisse mit materiellen Produkten. Im Gegenteil. Obwohl unsere Wirtschaft nach dem Krieg das Bruttosozialprodukt ständig gesteigert hat, werden die elementaren Bedürfnisse des Menschen immer weniger befriedigt, nämlich die Bedürfnisse nach:

  • intakter Umwelt
  • gesunden Nahrungsmitteln
  • sicheren Arbeitsplätzen
  • Geborgenheit im Alter
  • nach einer Heimat mit Zukunft!

Die Vision einer Bürgergesellschaft und deren Entwicklung zu einer nachhaltig orientierten Konsumenten-Demokratie strebt eine dauerhafte, umweltgerechte Entwicklung für alle Beteiligten an und will:

  • Natur erhalten
  • Arbeit schaffen
  • Soziale Gerechtigkeit

Demokratie durch Mitbestimmung über die natürlichen, kulturellen und menschlichen Ressourcen und die Anerkennung von Natur und Arbeit als unverzichtbare Grundlage, als die wertvollsten Güter des Systems, ist ihr Ziel.

Modellregion: Freistaat Bayern

Freistaat Bayen – Leitregion für die Welt: Testregion Unterfranken

  • Umwelt: eine der schönsten Kultur- und Naturlandschaft von den Alpen bis nach Unterfranken
  • Wirtschaft: Eine der besten Wirtschaftsregionen mit erfolgreichen Firmen von BMW bis Lohrer Bier
  • Gesellschaft: Eine heimatorientierte, verwurzelte Gesellschaft mit hoher kultureller Vielfalt

Bayern ist eine Region, die aufgrund ihrer ökologischen und kulturellen Ausstattung eine Modellregion für nachhaltigen Konsum werden könnte. Es geht dabei nicht um das Abkoppeln von globalen Beziehungsströmen, sondern z. B. um das Stoppen eines schizophrenen, subventionierten Lebensmittel-Tourismus.

Der Lebensmittel-Konsum in den letzten 30 Jahren ist kaum gestiegen, aber der Transport hat sich verdoppelt: zu Lasten der Landschaft, der Luft, des Klimas und letztendlich zu Lasten des Grundwassers.

  • Noch vor 100 Jahren bezogen wir 95 % unserer Lebensmittel aus dem Blickfeld des Kirchturms.
  • Bis zu 95 % Waren- und Geldströme zirkulieren heute großräumig, vielerorts nur noch 5 % kleinräumig.
  • Dieser Anteil ist – wenn möglich – in Regionen bis zu 50 % zu steigern.

Nachhaltiger Konsum und Grundwasserschutz

Bayern ist eines der bevorzugten Wasserländer der Erde mit einer funktionierenden Wasserversorgung. Das gilt im Prinzip auch für Unterfranken, obwohl hier die Probleme groß sind:

  • Die Grundwasserbildung ist ungünstig. In Unterfranken fällt nur ein Viertel des jährlichen Niederschlags wie in Südbayern.
  • Die Bodenschichten sind dünn und haben eine schlechte Filterwirkung. Schadstoffe gelangen leicht ins Wasser.
  • 75 % des Trinkwassers sind belastet und müssen aufbereitet werden; Hauptproblem Nitrat und Pflanzenschutzmittel.

Kabinettsbeschluss und Aktion Grundwasserschutz

  • Durch Öffentlichkeitsarbeit über die Verhältnisse informieren
  • Die Eigenverantwortung beim Bürger vor Ort wecken
  • Zu einem gesellschaftlichen Konsens für eine nachhaltige Entwicklung in Unterfranken auffordern

Oberstes Ziel der Aktion Grundwasserschutz ist folglich nachhaltige Entwicklung durch Umorientierung im Konsum.

Es geht nicht um „Duschen statt Baden“, sondern es geht um eine Veränderung unserer Einstellung und ein nachhaltig orientiertes Kaufverhalten.

Nur wenn es gelingt, die Landwirtschaft in Wassereinzugsgebieten und langfristig flächendeckend in Unterfranken auf eine grundwasserverträgliche, ökologische Wirtschaftsweise einzuschwören, ist langfristig die dezentrale Trinkwasserversorgung aus Grundwasser gesichert.

Ziel der Aktion Grundwasserschutz

Übertragung der Nachhaltigkeits-Philosophie der Wasserwirtschaft auf das Gesamtsystem:

  • Zukunftsfähige Dezentralisierung
  • Trinkwasser aus Grundwasser
  • So nah wie möglich
  • So wenig aufbereitet wie nötig.

Diese Philosophie der dezentralen Versorgung ist auf Landwirtschaft, Forstwirtschaft und andere Bereiche zu übertragen:

  • Wir brauchen eine Renaissance der Region und eine Ökologie der kurzen Wege
  • Wir brauchen die Akzeptanz fairer Preise gegen den Billigpreis
  • Wir brauchen grundwasserorientierte unterfränkische Käufer, die lieber zum Bäcker als zum Billigmarkt gehen

Die Aktion Grundwasserschutz initiiert und betreut deshalb Projektvorhaben, die wegweisend für eine nachhaltige Entwicklung sind. Zum Beispiel:

  • Förderung von Brauweizen: 60.000 ha : 20.000 ha
  • Förderung von Backgetreide: Dinkel, Roggen, Sonnenblumen usw.
  • Förderung von Kindertagesstätten: gesundes Essen, Ökologischer Landbau
  • 96 Kindertagesstätten Main-Spessart. 5000 Kinder

Bürgerinitiative Hafenlohrtal

  • Modellregion für nachhaltige Entwicklung
  • Durchführung einer Bürgerumfrage über Wünsche und Möglichkeiten
  • Einbeziehung der Bürger bei der Entwicklung von Modellvorhaben
  • Warum soll eine richtige Bewegung nicht vom Hafenlohrtal aus in die Welt gehen?

I have a dream

Die IT-Bewegung hatte ihren Start in einer Garage in Silikon Valley/Kalifornien. Heute stehen Computer rund um den Globus auf vielen Tischen, sind nicht mehr wegzudenken und Bill Gates ist der reichste Mann der Welt.

Warum soll eine für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft wichtige Idee nicht im Sustainable Valley Hafenlohrtal starten und im Sinne der besprochenen Konsumenten-Demokratie rund um die Welt Erfolg haben?

Die Freiheit und die Zukunft brauchen ein neues Fundament: das der Bürgergesellschaft. Warum fangen wir nicht im Hafenlohrtal damit an – hier und heute?

Rudolf L. Schreiber

2.9.05 rs-hs