Podiumsdiskussion: BIOFACH 94

Welches Bapperl hätten’s denn gern?


Statement zur Kennzeichnung von Bio-Produkten
Referent: Rudolf L. Schreiber
Datum: 26. März 1994


Im Namen des Verbrauchers

Für die heutige Podiumsdiskussion habe ich primär aus zwei Gründen zugesagt:

  1. Ich bin beruflich der Branche verpflichtet.
  2. Ich bin privat stocksauer und komme mir als Verbraucher verschaukelt vor.

Warum? Immer mehr Konsumenten wie ich suchen einwandfreie Nahrungsmittel aus ökologischem Landbau. Die Suche wird jedoch erschwert, da es immer mehr Marken und immer mehr Zeichen gibt, jedoch feststeht, dass vieles, was unter biologisch angeboten, so ökologisch nicht sein kann.

Als beruflich Informierter kenne ich einige Marken, die falsche Tatsachen vortäuschen, und die konsequenterweise verboten werden müßten. Als Verbraucher kann ich dies nicht durchblicken und werde verwirrt.

Es gibt ausreichend Käufer der Hoffnung, aber nur wenige Anbieter der Wahrheit oder mit anderen Worten: Verbraucher werden wissentlich belogen.

Es fehlt eine klare Abgrenzung zwischen echten Produkten aus kontrolliertem ökologischem Landbau und sogenannten Pseudoprodukten verschiedenster Angebotsformen und Marken.

Untersuchungen bestätigen, daß der Bedarf bzw. der Wunsch nach nicht belasteten, nicht bestrahlten und genmanipulierten Nahrungsmitteln wächst, aber das Vertrauen in die Angebote und Label schwindet.

Diese Einstellungsentwicklung ist eine fatale Situation, da sie alle Bemühungen nivelliert und bei dem Verbraucher den Eindruck er- weckt, daß man niemandem vertrauen kann und eh alles gleich ist.

Hier muß eine entschiedene Strategie verfolgt werden. Die Vielfalt der Produkte und deren verwirrende Auszeichnung überfordern den Verbraucher. Er will Transparenz und Sicherheit.

Die Sicherheit bezieht sich nicht nur auf den kontrollierten ökologischen Landbau, die Einhaltung von Verarbeitungsrichtlinien, sondern auch auf die Verpackung. Gewünscht werden umweltfreundliche Verpackungen mit einer glaubwürdigen Produktlinienanalyse, d. h. nicht grüne Punkte auf Verpackungen, die fragwürdig entsorgt werden.

Es ist für uns Verbraucher bedauerlich, daß wir auf der Suche nach der Quelle der Klarheit immer mehr in einen Strom der Verschmutzung von unwahren Aussagen und Signets geraten.

Steigende Umweltsensibilität; die steigende Umweltproplematik, die Anhäufung von Lebensmittelskandalen und bedenkliche Pro- duktqualitäten verunsichern zunehmend viele Käufer. Deswegen ist dringende Pflicht, Klarheit zu schaffen.

Es gilt, den Wildwuchs von Pseudolabels und Marken zu bremsen; es kommt darauf an, eindeutige Kontrollen in allen in Frage kommenden Bereichen sowie Produktqualitäten begründbar und beweisbar zu sichern.Ich sage hiermit nichts Neues – und das ist das Schlimmste – Die Konkurrenz zwischen den Anbauverbänden sowie Verbandsegoismen hat bisher verhindert, daß ein gemeinsames Zeichen entwickelt und eine gemeinsame Strategie verfolgt wird.

Aufgrund meiner Erfahrung und der heutigen Sichtweise nehme ich auch an, daß ein solches Zeichen wohl in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Darin liegt eine große Gefahr!

Es ist bekannt und aus Sicht der CMA verständlich, daß von dieser in CMA-Öko-Siegel etabliert wird. Der Maßstab für die CMA-Strategie ist die EG-Bio-Verordnung. Eine Philosophie soll nicht verkauft werden! Wenn die CMA diese Strategie konsequent verfolgt und einige Millionen in das Siegel investiert, dann können Sie voraussichtlich wirklich alle Ökopipifax-Bapperl vergessen.

Eine Randbemerkung sei erlaubt: Der Titel der Podiumsdiskussion „Welches Bapperl hätten’s denn gern?“ verdeutlicht eigentlich exakt die Niveauebene, auf der wir diskutieren.

Ein Blick in den Rückspiegel der ökologisch orientierten Nahrungsmittelwirtschaft läßt Depressionen aufkommen: Seit über 20 Jahren bemühen sich Pioniere des ökologischen Landbaus, diverse Anbauverbände und dahinexistierende Vertriebsorganisationen um gemeinsame Lösungen und gemeinsame Strategien und bringen diese nicht zustande.

Vor dem Hintergrund der Umweltprobleme, der Belastung durch die konventionelle Landwirtschaft, der Ernährungsfragen, der steigenden Krankheiten und Allergien usw., ist die Verpflichtung von Jahr zu Jahr gestiegen, eine Wende herbeizuführen.

Aus beruflicher Sicht sehe ich meine Position relativ klar. Wir beraten die heute größte Anbauorganisation des ökologischen Landbaus: Bioland!
Bioland ist für mich eine Basismarke der Landwirtschaft und keine Pseudomarke des Systems.

Die Bemühungen von Bioland in den letzten Monaten, diese Strategie konsquent umzusetzen, sind zu unterstützen und sollten ein Beispiel für andere sein.

Was die heutigen Bestrebungen auf dem „Jahrmarkt der Bapperl“- also zur Kennzeichnung von Bio-Produkten angeht, sieht Bioland diese mit großer Skepsis, und ich fühle mich verpflichtet, diese hier anzumerken:

Bioland Statement 1:

Es besteht die Gefahr, daß die Zeichen der Anbauverbände mit der Zeit verdrängt werden. Das ist letztlich eine Überlebensfrage. Deshalb haben wir die obligatorische Verwendung eines „staatlichen“ Erkennungszeichens oder Kontrollvermerks nach EG-Verordnung „Ökologischer Landbau“ immer abgelehnt. So lange die Qualitätsstandards (Stichworte: Tierhaltung nicht geregelt, Teilbetriebsumstellungen möglich) und Prüfbestimmungen nicht vergleichbar sind, machen solche Zeichen auch keinen Sinn.

Bioland Statement 2:

Ein gemeinsames Zeichen (Wortvermerk) der Verbände des öko- logischen Landbaus, die in der AGÖL organisiert sind, halten wir – zusätzlich zu den Verbandszeichen – grundsätzlich für denkbar. Darüber ist in der AGÖL diskutiert, aber keine Einigung erzielt worden, ob dieses Zeichen eher als Erkennungs- bzw. Herkunftszeichen oder als Qualitätszeichen zu definieren ist.

Ein solches Zeichen könnte, wenn es kommt, dazu geeignet sein, sich gegenüber sog. „EG-Bio-Produkten“, die nach einem Minimalstandard für Erzeugung und Verarbeitung produziert sind, zu differenzieren (z. B. gegenüber CMA-Ökosiegel).

Schlußkommentar:

Vereinheitlichung und Konsequenz ist angesagt. Der Verbraucher wünscht es, der Markt braucht es. Die Interessen der CMA und aller unter einen Hut zu bringen, ist sicher unwahrscheinlich. Deswegen ist meine Empfehlung, daß sich zunächst einmal die Anbieter, die Anbauverbände, der Bundesverband Naturkost, die Neuform und weitere für ein gemeinsames Zeichen einigen und dieses gegen die Inflation der Unwahrheit bekanntmachen und glaubwürdig beweisen.