Rückkehr zum Ursprung
Referat von Rudolf L. Schreiber auf dem
MANAGEMENT-SYMPOSIUM DAVOS (Vorgänger des World Economic Forum Davos)
07.02.1980
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wo stehen wir – am Anfang oder Ende? Brauchen wir eine Rückkehr zum Ursprung? Die Zerstörung der Ökosphäre, Uberbevölkerung, Rohstoffmangel und Wettrüstung sind die Eckpfeiler weltlichen Unheils. Niemals zuvor in der Geschichte gab es eine Parallele zur heutigen Bedrohung unserer Existenz. Der Mensch ist zum ersten Mal in der Lage, sich selbst zu vernichten. Die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Menschheit drängen zur Katastrophe wie die Flüsse zum Meer. Sie machen die Welt unregierbar. Weltbankpräsident Mc Namara hat einmal über die Unregierbarkeit der Menschheit kommentiert:
„In der zeitlichen Perspektive ist der Mensch bisher eine nur kürzlich aufgetretene Erscheinung. Er ist vorläufig. Vielleicht ist er nur ein Experiment?“ Konrad Adenauer bemerkte kurz vor seinem Tode in sarkastischer Knappheit: „Auf dem Mond können sie jetzt weich landen, aber auf der Erde, da geht es in die Binsen!“ Wo liegen die Ursachen – welche Auswege gibt es? An diesem Ort, an dieser Stelle, haben E. F. Schumacher, Frederic Vester und andere Referenten auf die Ursachen hingewiesen: Falsche Ausbildung, falsche Ziele, falsche Technologien und die extreme Spezialisierung. Im letzten Jahr machte Frederic Vester deutlich: „Daß bei einer Fortsetzung des bisherigen einspurigen Denkens und Wirtschaftens, d. h. ohne Beachtung von Systemzusammenhängen, in wenigen Jahren unsere Industriegesellschaft zusammenbrechen wird, wenn wir uns nicht an den kybernetischen Gesetzmäßigkeiten lebender Systeme orientieren!“
Wir befinden uns nicht in einer vorübergehenden Wirtschaftskrise, sondern machen eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung durch, die sich nicht im Rahmen der konventionellen Wirtschaftslehre verstehen läßt. Die klassische Nationalökonomie des vergangenen Jahrhunderts ging von der unrealistischen Annahme einer zum Teil unbegrenzten Welt aus. Ihre Richtlinien sind überholt.
Mut zum vorstellbaren
Um es von Anfang an klarzustellen, ich bin weder Wissenschaftler noch Futurologe, sondern Kommunikationsberater. Meine Aufgabe ist, Botschaften verständlich umzusetzen. Ein hohes Ziel bei diesem Thema.
Die Flut der Information, Pr sseberichte und Sachbücher ist nicht mehr zu bewältigen. Nachrichten von heute lösen die von gestern ab. Glaubwürdige Berichte werden über Nacht unglaubwürdig. Widersprüche vermehren sich. Wir haben den Überblick verloren. Die Erkenntnis zwingt zur Rückbesinnung auf das Wesentliche. Aus diesem Grund trägt der Vortrag den Titel: Rückkehr zum Ursprung.
Der Themenbereich ist komplex, die Zeit zwingt zur Vereinfachung. Deshalb, für Ihre Übersicht, der rote Faden meines Referates:
- Sozio-ökologische Zwischenbilanz
- System-Faktoren Ökologie-Ökonomie
- Das System in der Midlifecrisis
- Rückkehr zum Ursprung: Ziele
- Vorwärts zum Ursprung: Möglichkeiten
- Kurze Texte und Bilder unterstützen die wesentlichen Inhalte meiner Ausführungen.
Zwischenbilanz: Die Negativposten überwiegen!
Vor dem Hintergrund der globalen Probleme erscheint der Einstieg in den Alltag des Geschehens fatal. Doch er ist realistisch, notwendig. Die Wurzel des Übels liegt in den von uns praktizierten Techniken. Eine sozio-ökologische Bilanz, eine Gegenüberstellung der positiven und negativen Auswirkungen in den industrialisierten Ländern, macht die Probleme deutlich, stellt unsere vordergründigen Erfolge infrage.
- Höheres Pro-Kopf-Einkommen,
- Zunahme der Ersparnisse,
- Verdreifachung des PKW-Bestandes,
- Mehr soziale Sicherheit,
- Bessere Krankenfürsorge,
- Bessere Arbeitsbedingungen, mehr Freizeit
sind die Vorteile oder Aktivposten.
- Umweltzerstörung,
- Ziellosigkeit, fehlende moralische und ethische Werte,
- Zunahme der Zivilisationskrankheiten,
- Alkoholismus und Drogensucht,
- Vernichtung der Lebensgrundlagen
die Nachteile oder Passivposten.
Die Aufzählung ist unvollständig, und – sie soll nicht zum Ursache-Wirkung-Denken verführen. Die Probleme sind miteinander vernetzt, der Übergang zwischen den soziologischen und ökologischen Komponenten ist fließend. Fest steht, daß wir am Ende der Belastbarkeit des ökologischen und ökonomischen Systems stehen, somit ist auch der Mensch nicht weiter belastbar.
Immer mehr Menschen erkranken an Krebs. Immer mehr Menschen vereinsamen in einer Massengesellschaft mit perfekten Kommunikationsmedien. Immer mehr Menschen begehen Selbstmord. In der BRD ist die Zahl der Selbstmörder inzwischen so hoch wie die der Verkehrstoten.
Es reicht. Ich möchte nicht die Apokalypse, einen Weltuntergang, heraufbeschwören, sondern die Hoffnung wecken, den Glauben an die Chancen und die Einsicht für die notwendige Kurskorrektur.
Es gibt keine Alternative Ökologie oder Ökonomie
Unser wirtschaftliches System ist vom ökologischen System abhängig. die Alternative Ökologie oder Ökonomie gibt es nicht. Die nähere Betrachtung der Systemfaktoren beider Systeme macht die Abhängigkeiten deutlich. Durch unsere technischchemisch orientierte Wirtschaftsweise hat die Gefährdung des ökologischen Systems einen Grad erreicht, der zu sofortigen Gegenmaßnahmen und einer Innovation des Wirtschaftssystems zwingt.
Eine Abhandlung aller ökologischen Faktoren: Sonne, Klima, Luft, Wasser, Boden, Tiere, Pflanzen und der Mikrowelt sowie aller Wirtschaftsfaktoren einschließlich der Thematik Energie, Rohstoffe und Abfälle ist hier nicht möglich und nötig.
Mit einer Zusammenfassung der Umweltprobleme und kritischen Anmerkungen zu den Produktionsfaktoren der Wirtschaft muß ich Sie jedoch konfrontieren.
Ökologie-Faktor Luft:
Die Verschmutzung der Luft, die Freisetzung von C02 und anderen Elementen, gefährdet alles Leben auf der Erde. Veränderungen der Umwelt und die Bedrohung unserer Gesundheit sind die Folgen.
Der Mensch braucht täglich 14 kg Luft, um die 3 kg Sauerstoff zu gewinnen, die er zum Leben braucht. Was wir jedoch in den Ballungsgebieten einatmen, ist ein Gemisch aus Staub, Ruß, Kohlenmonoxyd, Schwefeldioxyd, dem Krebserreger Benzpyren und einer Unzahl von Fest- und Stickstoffen. Großstädte werden unter Smog Einfluß zu Gaskammern. Die Sonneneinstrahlung wird reduziert.
Gebäude zerfallen, Bäume und Wälder sterben ab. Die Probleme sind erkannt. Wir müssen handeln. Jedoch nicht nach der Aufforderung einer Mutter, die inmitten der Großstadt zu ihrem Kind sagt: „Iß schnell Dein Eis, bevor es schmutzig wird“.
Ökologie-Faktor Wasser:
Alles Wasser auf der Erde zirkuliert in einem Kreislauf. Ein Recycling-System mit perfekter Selbstreinigung war es. Heute ist der natürliche Reinigungsprozeß überfordert und wird mit der Belastung an Schadstoffen nicht mehr fertig. Durch Bodendüngung und Abwässer – in der BRD wurden über 250 verschiedene chemische Stoffe im Trinkwasser entdeckt – ist die kritische Grenze längst überschritten.
Und – Wasser wird Mangelware. Oberflächenwasser muß zunehmend zur Trinkwasserversorgung aufbereitet werden. Allein aus dem Rhein wird für 20 Mio Menschen Trinkwasser gewonnen.
Seit der Energiekrise gilt Erdöl als wichtigster Rohstoff: Wichtiger für unser Leben ist jedoch sauberes Wasser und genau das, der größte „Wegwerfartikel“ der Menschheit, droht zur Mangelware Nr. 1 zu werden.
Ökologie-Faktor Boden:
Die Landmasse der Erde beträgt rund 20 % der Erdoberfläche. Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beträgt rund 250.000 qkm. Auf ca. 5 % wird diese Fläche wirtschaftlich genutzt. Rund 10 % sind bebaut. Unser Landhunger ist groß. Jedes Jahr fällt eine Fläche in der Größe des Bodensees dem Landfraß zum Opfer. Ihm müssen wir Einhalt gebieten.
Landhunger einerseits und Landnutzung andererseits sind in der BRD die wesentlichen Kriterien. Die auf Hochtouren laufende Industrialisierung der Landwirtschaft zerstört die Lebensräume, entzieht Pflanzen, Tier und Mensch die Lebensgrundlagen. In der Folge wird die Landwirtschaft extrem energieabhängig. Ihre Einsatzstoffe werden zu 59 % aus Erdöl, zu 21 % aus Erdgas und zu 11 % aus Kohle gewonnen. Seit dem ersten Weltkrieg hat sich in Deutschland der Ernteertrag pro Hektar verdoppelt, die pro Hektar hineingesteckte Energie jedoch verzwanzigfacht. Die Steigerung der Erträge wird also um ein Vielfaches mit der Steigerung des Düngemittel- und Energieverbrauchs und der Folgeprodukte übertroffen. Bodenerosion und die Vernichtung organischer Substanz sind die Folgen.
Ökologie-Faktor Tiere:
Die Ausbeutung und Zerstörung der Natur führt nicht nur zum Rückgang der Gesamtzahl wild lebender Tiere, sondern auch zu einem kritischen Rückgang der Arten. In den letzten 300 Jahren wurden 200 Arten ausgerottet. Von den 50.000 lebenden Tierarten in der Bundesrepublik Deutschland gehen viele Arten in ihrem Bestand zurück. Heute sind 47 % der Säugetierarten, 36 % der Vogelarten, 67 % der Kriechtierarten, 58 % der Lurche, um nur einige Beispiele zu nennen, gefährdet.
Die Zerstörung ihrer Lebensräume, Umweltgifte sowie unsere land- und forstwirtschaftlichen Anbaumethoden sind die hauptsächlichen Ursachen ihres Rückganges in der Bundesrepublik Deutschland.
Ökologie-Faktor Pflanzen:
Nach Schätzung internationaler Experten sind heute 20.000 Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Bei fortschreitender Entwicklung bis zum Ende dieses Jahrhunderts wahrscheinlich 50.000. Ein Viertel der gesamten Erdenflora. In der Bundesrepublik Deutschland gelten rund 30 % der einheimischen und eingebürgerten Farn- und Blütenpflanzenarten als gefährdet. Die großflächige Anbaumethode der Landwirtschaft, intensive Stickstoffdüngung, der Einsatz von Chemikalien, Schwefeldioxyd aus der Luft, Straßenbau und Streusalz machen ihnen den Garaus.
Zusammenfassend: Nicht das Aussterben einer einzelnen Tier- oder Pflanzenart muß schwerwiegende Folgen haben, obwohl das nicht abzuschätzen ist. Kritisch ist der Rückgang vieler Arten in den letzten Jahrzehnten. Hierin liegt die Gefährdung des natürlichen Gleichgewichts und damit auch die Gefährdung unserer Lebensgrundlagen und unseres wirtschaftlichen Systems.
Produktions-Faktor Boden:
Wir sprechen vom gleichen Boden. Was vorher ökologisch relevant war, bekommt jetzt ökonomische Bedeutung. Im volkswirtschaftlichen Sinn gilt Boden als originärer Produktionsfaktor, der die Erdoberfläche, die Bodenschätze sowie die Energiequellen umfaßt. Betont wird hierbei seine Unvermehrbarkeit, seine Unbeweglichkeit und seine vermeintlich fehlende Abnützung. Letzteres ist falsch, also nicht mehr haltbar; der Boden wird abgenutzt. Die moderne Landwirtschaft sowie der Raubbau am Boden durch die Abholzung der Regenwälder, um nur zwei Beispiele zu nennen, zeigen deutlich, in welch kurze Zeit das Bodenkapital vernichtet werden kann. Der Boden wird, ausgelaugt und entvitalisiert, zum Anbau ist er nicht mehr zu gebrauchen.
Produktions-Faktor Arbeit:
„Arbeit – was ist das?“ Unter diesem Aufhänger hat Elisabeth Noelle-Neumann, die wohl bekannteste Marktforscherin der Bundesrepublik, im letzten November einen Bericht in der FAZ veröffentlicht. Die wachsende Lustlosigkeit bei der Arbeit, und zwar nicht nur bei Berufstätigen mit entfremdeter Arbeit, sondern gerade bei den Selbständigen, Freiberuflichen und Hausfrauen ist für sie Alarmzeichen. Die Arbeit muß neu überdacht werden. Betrachtungsweisen vergangener Zeiten sind heute sicher falsch. Der Faktor Arbeit muß einen neuen Inhalt bekommen. Ursprünglich wurde Arbeit als schwere körperliche Anstrengung, Mühsal und Plage verstanden. Ar-beit war notwendig, um zu überleben. Heute hat es zum Teil den Anschein, als ob wir leben würden,um zu arbeiten. Die Reihenfolge ist verdreht. Heute müssen wir konsumieren, verbrauchen, verschleißen, damit genügend Arbeit da ist. Sind wir auf der Welt, um uns zu erhalten oder Arbeitsplätze zu erhalten? Wie leicht wäre es heute, die Arbeit neu und sinnvoll zu verteilen.
Doch was machen wir? Immer weniger Menschen arbeiten für immer mehr. Immer mehr Menschen haben weniger Arbeitsplätze. Wir sollten alle arbeiten. Weniger arbeiten, besser arbeiten, gerade in einem Maß, mit da es uns langfristig gut geht. Wir müssen zurückfinden zur Arbeit, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, die ihm Erfolgserlebnisse gibt. Unsere Gesellschaft hat jedoch vor den Mechanismen ihres Systems kapituliert.
Produktions-Faktor Kapital:
Zu Anfang der Volkswirtschaft, nach den Lehren von Aristoteles und der Scholastiker war Kapitalbildung untersagt: „Zinsen durfte es keine geben, da Geld keine Jungen werfen kann.“ Die weitere Entwicklung kennen Sie und eine nähere Abhandlung des meist umstrittetenen Produktionsfaktorsder Volkswirtschaft ist nicht notwendig. Die anfangs erwähnten negativen Auswirkungen unseres Wirtschaftens müssen uns jedoch nachdenklich stimmen. Noch immer richten wir uns nach einer Volkswirtschaftslehre, deren tragende Säulen zu einer Zeit gemeißelt wurden, die überhaupt nicht mehr mit der heutigen vergleichbar ist und von vollkommen anderen Voraussetzungen ausging. Nach einer Wohlstandsorgie, deren Scherben bis in die kleinsten Winkel der Welt herumliegen, wird es Zeit, an den Grundfesten dieser alten Lehre zu rütteln. Wo sind die großen Denker von heute?
Im Mittelpunkt der Umwelt steht der Mensch
Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Mensch. Er ist – wie das von ihm geschaffene Wirtschaftssystem – von der Ökologie, dem Haushalt der Natur, mit allen Konsequenzen abhängig. Diese Erkenntnis istunbestritten. Woran es mangelt sind neue Grundlagen und Richtlinien für zukünftiges Wirtschaften.
Wir können uns nicht länger nach den Prinzipien der klassischen Nationalökonomie richten. Sie ließ vor dem Hintergrund der scheinbaren Unbegrenztheit die Faktoren Luft und Wasser bei ihren Betrachtungen in Vergessenheit geraten. Eine neue Wirtschaftstheorie muß die Produktionsfaktoren an den ökologischen Faktoren’messen und die ökologischen Grundlagen voll mit einbeziehen. Vor dem Hintergrund eines am Ökologiesystem orientierten Ökonomiesystems sind erst in zweiter Linie die Faktoren Arbeit und Kapital ausschlaggebend, doch ebenfalls grundlegend neu zu efinieren.
Maßstab der Zielsetzung muß der Mensch in einer intakten Umwelt sein. Neue Modelle dürften nicht ztr Systemfrage „Planwirtschaft oder Marktwirtschaft“ werden. Es geht um das Es geht um die Frage der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen einer Menschheit am Wendepunkt.
Das System ist pervertiert
Hätten wir eine weltweit anerkannte Institution, die sich mit den neu zu erwartenden sozialen, politischen und ökologischen Krisen würde, sie müßte unverzüglich die höchste Alarmstufe ausrufen.
Unsere technische Welt ist:
- zu schnell geworden. Die rasante Veränderung der Lebensräume und die Entwicklung immer neuer chemischer Stoffe haben die Anpassungsfähigkeit der meisten Organismen überfordert.
- maßlos geworden. Die Industrialisierung der Landwirtschaft, der Anbau in Monokulturen und die praktizierte Massentierhaltung, die Senkung des Grundwasserspiegels und andere Anzeichen zeigen uns die Grenzen. Der Größenwahn der Großmächte, der sich in weiterhin steigenden Produktionszahlen der Massenprodukte, dem steigenden Energieverbrauch, der Bildung von unüberschaubaren, international verflochtenen Großkonzernen, dem Bau von Supertankern, Superbombern und Atomreaktoren ausdrückt, erschreckt viele.
- unüberschaubar geworden. Es entstehen nicht mehr zu kontrollierende Wirtschaftsimperien. Es entstehen Verwaltungsapparate von bedrohlicher Automatik. Es entstehen krankhaft wuchernde Ballungsräume. Es entsteht eine inhumane Welt. Die Erhaltung einzelner Systemteile wird für wichtiger angesehen als die Funktion des Gesamtsystems. Falsche Leitbilder verhindern, dass das System im Hinblick auf seine Überlebensfähigkeit überprüft wird. Viele Institutionen stehen daher einer positiven Evolution unserer Gesellschaft im Wege.
Wir stecken in verteufelten Zwängen, haben es aufgegeben, die technische Entwicklung unseren Bedürfnissen anzupassen, versuchen, uns krampfhaft der technischen Entwicklung anzupassen. Was wir brauchen, sind neue Methoden, mit denen wir das Verhalten komplexer Systeme verstehen lernen, mit denen wir den Stellenwert von Systemteilen auch zu deren eigenem Nutzen beurteilen können.
Frederic Vester hat Ihnen gestern mit seinem neuen Sensitivitätsmodell einen solchen Weg demonstriert.
Was die Begriffe wirklich bedeuten
Nicht nur die Bewältigung einer unüberschaubaren Informationslawine, sondern auch die Deutung der Inhalte, ist ein Problem geworden. Wir reden aneinander vorbei, sind Begriffen verhaftet, die nicht mehr stimmen oder urpsprünglich eine andere Bedeutung hatten.
Zuerst der Begriff „Ökonomie“. Er bedeutet ursprünglich: Wirtschaftlichkeit und sparsame Lebensführung. ökonomisch heiß „wirtschaftlich darunter verstanden? Wer die Frage stellt: „Ist das auch ökonomisch?“ meint, ist das auch gewinnbringend, expansiv! Wie hoch ist die Rendite.
Oder „Wachstum“. Ein mehrsinniges Wort. Im täglichen Sprachgebrauch bedeutet wachsen zunehmen, vermehren, vergrößern, steigern, vervielfachen. Wachstum ist jedoch viel mehr. Wachstum bedeutet auch Veränderung, Wandlung. So wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird. Oder aus einem Ei ein Küken heranwächst. Ohne quanitativ zu wachsen, im Gegenteil, das Ei vermindert sein Gewicht. Wachstum bedeutet folglich „nicht nur Eier legen“, sondern verändern.
Was ist „Fortschritt?“ Meist wird darunter verstanden: Lineares Anwachsen! Unbegrenzte technische Möglichkeiten der Naturbeherrschung! Sind Maschinen, die uns beherrschen, Fortschritt? Sind Aerosolprodukte, die erwiesenermaßen die Ozonschicht zerstören, Fortschritt? Sind Nahrungsmittel mit Umweltgiften, Fortschritt?
Zuletzt, die Reihe ließe sich fortsetzen, unser „Wohlstand“. Ist Wohlstand die Sicherung unserer Existenz· oder die Fähigkeit, Wegwerfartikel schneller wegzuwerfen? Bedeutet Wohlstand immer mehr Autos, immer mehr Autobahnen, immer mehr Umweltzerstörung? Die alleinige Orientierung am finanziellen Erfolg – ist das Wohlstand? Hängt davon unsere Lebensqualität und unser Glück ab?
Was Pioniere einmal wollten
Am Anfang der Entwicklung standen Ideen, die problemorientiert waren. Probleme zu beseitigen, schwere Lebensbedingungen zu waren die Motivationen der Menschen, die mit ihren Ideen die Welt veränderten.
1839 hat Justus Liebig die künstliche Düngung eingeführt. Ihr ist es zu verdanken, daß heute mehr Menschen auf der Welt ernährt werden können als vor 100 Jahren. Liebigs noch auf seiner Erfindung bestehen, oder würde ein Justus Liebig neu denken? Seine Erben verteidigen mit fast „religiösem Wahn“ eine fragwürdige, energiefressende, landwirtschaftliche Großtechnologie. Sie orientieren sich nicht an der Ökologie und seit einiger Zeit auch nicht einmal mehr an der Ökonomie – zumindest nicht gesamtvolkswirtschaftlich gesehen.
Konrad Henkel wollte 1907 mit seinem selbsttätigen Waschmittel „Persil“ die Arbeit derHausfrau erleichtern. Was wollen heute Manager der Waschmittelindustrie? Sie ringen mit Millionen Budgets und Pseudoargumenten in der Werbung um graduelle Marktanteilsverschiebungen, proklamieren das völlig irrelevante reinste Weiß und vergessen dabei, Waschmittel zu entwickeln, die unsere Gewässer nicht belasten.
1928 entdeckte Alexander Fleming das Penicillin. Fleming wollte die Infektions-Krankheiten besiegen. Ein Anspruch, mit dem auch heute die pharmazeutische Industrie auf sichaufmerksam macht. Doch geht es wirklich um den Menschen? Das Ringen um Marktanteile läßt stark zweifeln.
Bei meiner deutlichen Kritik darf nicht vergessen und es sollte keinen Augenblick geleugnet werden, daß segensreiche Fortschritte erzielt wurden. Aber es ist gefährlich und nicht mehr vertretbar, die Schwächen unseres System zu beschönigen oder zu verdrängen.
Die wenigen Beispiele zeigen, daß es häufig nicht mehr um die eigentliche Problemlösung geht, sondern um die kurzfristige Erhaltung des Arbeitsplatzes, der Marktposition, des Unternehmens, des Teilsystems.
Das System in der Midlifecrisis
Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem hat seinen Höhepunkt überschritten. Nach pubertärer Entwicklungszeit fehlen jetzt die Ziele für die weitere Entwicklung. Die Landwirtschaft in der Bundesrepublik, einer der am meisten der Natur nahestehenden Wirtschaftsbereiche, hat sich zum Umweltzerstörer Nummer Eins entwickelt. Sie steht vor einer entscheidenden Krise:
– Vor einer Methodenkrise im Hinblick auf die negativen Auswirkungen der praktizierten Verfahren auf das ökologische System.
– Vor einer wirtschaftlichen Krise aufgrund der steigenden Preise für Maschinen, Düngemittel und Folgeprodukte.
Und das bei einem Produktionszweig, der durch schonende Ausnutzung des natürlichen Kreislaufes: Sonne-Pflanze-Boden ohne Input von Fremdenergie produzieren kann.
Was machen wir zusätzlich? Wir subventionieren aus dem Steuersäckel in Milliardenhöhe Butterberge bis zur Unbrauchbarkeit, um die Butter dann dem Schweinefutter beizumischen.
Vielschichtig sind die Probleme von Industrie und Gewerbe.
Es gibt kaum einen Produktbereich, der nicht an die Grenzen der Vernunft angelangt ist und nicht eine Rückbesinnung auf das Wesentliche erfordern würde. Die Autoindustrie: Von ihrem Produkt auf vier Rädern haben wir unser ganzes Wirtschaftssystem abhängig gemacht. Rund 2,3 Millionen Arbeitsplätze hängen in der BRD direkt und indirekt vom Auto ab. „Das Auto macht uns abhängig“, so sagt die Werbung. „Wir haben Vertrauen in die Zukunft des Automobils“, so kommentierten die Branchenbosse nach der Automobilausstellung im letzten Jahr. Ich habe es nicht. Steigende Preise, Rohstoffknappheit und Umweltprobleme können dem Auto die Straßen unter den Rädern wegziehen. Wo sind die Alternativen eines humaneren Verkehrs? Wo ist das kleine, sichere, sparsame Auto, das aber auch dem Prestigebedürfnis des Menschen gerecht wird? Was hat die Automobilindustrie in den letzten 10 Jahren getan?
Und andere Gebrauchsgüter? Jeder von Ihnen hat seine persönlichen Erfahrungen. Vor kurzem erworbene Geräte funktionieren nicht mehr. Des Händlers Rat: Neu kaufen, denn Reparieren lohnt sich nicht. Wir alle kennen Produkte, deren Verschleiß einprogrammiert ist. Wir alle kennen Produkte, die auf Wegwerfen konstruiert sind. Das ist die eine Seite des Wohlstandsschecks.
Die andere zeigt sich in negativen Produktwirkungen. Haartrockner mit Asbestfasern verursachen Lungenkrebs. Pharmazeutische Mittel haben gesundheitliche Nebenwirkungen. Verpackungen belasten das Land mit steigenden Müllbergen und dergleichen mehr.
Serviceland Deutschland
Wie sieht es im Dienstleistungsmarkt aus? Zum Beispiel im Lebensmittelhandel. Fragwürdig sind die gigantischen Einkaufszentren am Rande der Städte, die „Kathedralen des Konsums“. Nicht nur, daß sie die Infrastruktur zerstören, Kleinunternehmern die Existenzgrundlagen rauben, sie sind Energiefresser und lösen eine Kette von negativen Umwelteinflüssen aus. Der Handel in dieser Form, mit seiner „Schnelldreherorientierung“, dem Zwang zur Konzentration und Rationalisierung, hat qualitätsmindernde, erpresserische und – ökologisch gesehen zerstörerische Züge bekommen. Wann kommt die Veränderung? Schon spricht man davon, daß es eines Tages zur Lebensqualität gehören wird, in der Nähe der Wohnung einkaufen zu können.
Als Schlußlicht des Wohlstandszuges einige Anmerkungen zur Werbung. Kommunikation ineiner Massengesellschaft muß sein. Darum geht es nicht. Es geht um die Inhalte, die Ziele, um Sinn und Wahrheit. Ich finde, daß Werbung zunehmend pervertiert eingesetzt wird. So wird für Stromverbrauch geworben, obwohl wir Strom sparen müssen. So wird für Nahrungsmittel geworben, obwohl der Bundesbürger im Durchschnitt diedoppelte Kalorienmenge zu sich nimmt alsihm gesundheitlich einträglich ist. So wird für Bequemlichkeit geworben, obwohl uns zuviel Bequemlichkeit krank macht. Es wird heile Natur vorge aukelt, obwohl man weiß, daß es gelogen ist.
Produkte des Systems: Mehr sehlecht als recht
Die kritische Entwicklung des Systems findet ihren Niederschlag in seinen Produkten. Was ursprünglich gut war ist heute schlecht. Diese Feststellung gilt nicht grundsätzlich, aber sie ist in vielen Produktbereichen nachweisbar. Als Fallbeispiele habe icheinige Nahrungsmittel ausgewählt.
Brot: 60 % aller Deutschen halten es für das wichtigste Nahrungsmittel. Sein Nahrungswert ist leider trotz des vielfältigen Angebots weit heruntergekommen. Das Problem beginnt beim Getreideanbau, setzt sich bei der Mehlherstellung fort und findet sein Ende in der Zubereitung. Rückstandsreiches Getreide wird nährstofftötend verarbeitet und später mit einem Arsenal von chemischen Zusätzen Markenartikel- und handelsgerecht unter Etikettenschwindel an den ahnungslosen Bürger verkauft. Das Deutsche Landbrot aus der Fabrik!
Kalbfleisch: Weiß muß es sein, so wird es der Hausfrau suggeriert. Um das zu erreichen, werden Hunderttausende Kälber in Dunkelboxen der Großmastbetriebe unter unvorstellbaren Bedingungen gemästet, mit Antibiotika und Hormonen vollgestopft. Das Ergebnis: blutarme, kranke Tiere und Fleisch mit fraglichen Rückständen.
Wein: Der gute Tropfen zuletzt. Die Qualität eines Weines hängt neben anderen Faktoren primär von der Lage, der Bodenbearbeitung, der Sonne, dem Klima und der Verarbeitung ab.
Heute wird der Weinbau mehr und mehr auf großen Flächen mit intensivem Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien betrieben. Auch werden spezielle Rebsorten gezüchtet, die sich für den Massenertrag besser eignen. Damit nicht genug. Viele Weine werden chemisch behandelt, erhitzt, ihr Reifeprozeß wird künstlich beschleunigt, um sie möglichst schnell markenartikelgerecht mit dem besten was sie haben,einem „Topetikett“ in die Regale des Handels zu bringen.
Die Verminderung der Produktqualität auf dem Nahrungsmittelsektor macht deutlich, daß sich viele technische Problemlösungen hinterher als Milchmädchenrechnungen herausstellen. Die meisten Probleme haben einen gemeinsamen Nenner: Zivilisationszwänge kombiniert mit unvernünftigem, kurzfristigen Ertrags- und Profitstreben.
Rückkehr zum Ursprung
Aus globaler Sicht haben die Großmächte und Industriestaaten in Ost und West die Basis und Kompetenz verloren, dem Rest der Welt ideologische und wirtschaftliche Richtlinien zu geben. Dabei hungert die Welt nach einer neuen Ordnung.
Aus der Sicht der Bundesrepublik müssen wir eine Ordnung finden, die nach einer extremen Wiederaufbauphase und Blüte der freien Marktwirtschaft, die auf die Knappheit der Rohstoffe und die Grenzen der Natur Rücksicht nimmt. Es wird höchste Zeit, trotz der zur Resignation drängenden Fakten, alle Chancen und Alternativen offenzulegen, um einen Wandel einzuleiten. Dabei geht es nicht um Symptomkorrekturen. Für Reparaturen ist es zu spät. Es geht um die Entwicklung einer Wirtschaftsordnung mit neuen Maßstäben, die an den humanen und ökologischen Grundsätzen zu messen sind.
Unmißverständlich möchte ich zum Ausdruck bringen, daß meine Kritik nicht eine Systemfrage „Planwirtschaft contra Marktwirtschaft“ ist, sondern eine Frage der Werte, der Ziele, der Inhalte. Im Gegenteil, es geht mir um die Erhaltung der freien Wirtschaftsordnung. Nur durch höchstmögliche unternehmerische Freiheit werden wir die guten Grundfesten unserer Ordnung erhalten können.
Richtlinien zur Orientierung
Von meiner „45 Minuten-System-Beichte“ können Sie keine Endlösungen erwarten. Vieles muß vertieft werden. Ich kann nur Richtlinien aufzeigen:
Eine neue Ordnung muß sich wieder am Ursprünglichen orientieren:
- an den ökologischen Gegebenheiten, nicht technischen Möglichkeiten.
- wieder ökonomisch, d. h. sparsam zu wirtschaften.
- den Wohlstand wieder am Wohlbefinden des Menschen, nicht am Wachstum ausrichten.
- unter Fortschritt wieder Erhaltung und Vielfalt verstehen, nicht mehr Zerstörung der ökologischen Grundlagen.
Wir müssen zurückfinden zum Einfachen, zum menschlichen Maß. Damit meine ich jedoch eine Rückkehr, die eigentlich Fortschritt ist.
Deswegen können die Richtlinien für die Zukunft nur lauten:
„Rückkehr“ oder „Fortschritt“ zum Grundsätzlichen, zur Bedarfsdeckung – nicht Bedarfsweckung, zur Menschlichkeit und einem Wirtschaftssystem im Einklang mit dem Ökosystem.
Die Konsumenten werden es denjenigen Unternehmen lohnen, die hier als erste am Ball sind.
Eine Rückkehr zum Ursprung als Fortschritt, die also nicht bedeutet: zurück auf die Bäume, zurück in eine Zeit der Knechtschaft, der Krankheit und Entbehrungen. Diese Rückkehr bedeutet eine Synthese finden zwischen dem, was Lebensqualität einmal war und heute ist. Sie bedeutet, mehr Gemeinschaft statt Vereinzelung. Mehr Lebensgestaltung statt Lebensverflachung. Mehr Erhalten statt Wegwerfen. Mehr Umwelt statt Unwelt!
Ökologische Zielorientierung und Maßnahmen
Die Lage erfordert dringend eine zivilisationsökologische Steuerung. Je später wir sie einleiten, desto schwieriger wird sie zu bewältigen sein. Ein System im Gleichgewicht, das sich durch qualitatives Wachstum und optimale Vielfalt auszeichnet, muß oberstes Ziel sein. Nur eine große Vielfalt erlaubt eine hohe Beteiligung Vieler bei größter Stabilität und Krisensicherheit. Die Stabilitätsprinzipien der Ökologie können für uns Maßstab sein. Wie? – hat Ihnen Frederic Vester schon im letzten Jahr mit seinen acht Grundregeln aufgezeigt. Jetzt sind unsere Wirtschaftstheoretiker gefordert, orientiert am ökologischen System, schnellstens Alternativen zur herrschenden Wirtschaftstheorie des Wachstums zu entwickeln. Es geht jedoch nicht um theoretische Luftschlösser, sondern um praktische Maßnahmen, die unmittelbar greifen.
- Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Hinblick auf ein langfristiges, qualitatives Wachstum als Gegenkraft zur praktizierten Politik, Arbeit durch Energie zu ersetzen und damit Arbeitsplätze zu beseitigen.
- Sinnvoller Werte im Gegensatz zu der Schaffung hochgezüchteter Ersatzbedürfnisse.
- Kleine, regionaler, in sich gefestigte Wirtschaftsabläufe mit dem Ziel einer möglichst regionalen Versorgung.
- Die Umschichtung vorhandener Expansionskräfte auf ökologisch ausgerichtete Projekte zur Einleitung eines Übergangs von Quantität zu Qualität.
- Um die Reduzierung des Verbrauchs knapper und ökologisch belastender Energie und Rohstoffe, sowie die Förderung der Forschung von Alternativen.
- Die Begrenzung der absoluten Bevölkerungszahl und der Reduzierung der Bevölkerungsdichte durch den Stopp weiteren Wachstums von Stadtgrößen und die Förderung regionaler, dezentralisierter Organisationsstrukturen.
Zur Verfolgung und Erreichung dieser notwendigen Ziele muß die Allgemeinheit verständlich, hoffnungsvoll, doch sachlich und objektiv über die wirtschaftlichen und ökologischen Notwendigkeiten und die zu erwartenden Veränderungen aufgeklärt werden.
Ökomarketing – Chancen für Pioniere von heute
Wir dürfen uns nicht mehr am Machbaren, sondern wir müssen uns am vorstellbaren orientieren, mit Pioniergeist ins Unbekannte vorstoßen. Unser einseitiges Ursache-Wirkungsdenken steht uns hierbei am meisten im Wege. Systemdenken ist zwar nicht neu, wir praktizieren es als technisches, wirtschaftliches und soziales Systemdenken, doch im Sinne eines übergeordneten, vernetzten, ökologischen Denkens erscheint bisher nur eines vernetzt zu sein: die vernetzte Unvernunft.
Unsere Denk- und Handlungsweisen sind ebenso gründlich zu reformieren wie die praktizierten Techniken. Das Instrument Marketing, als dynamisches Element unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung muß in eine neue Dimension eintreten. Marketing muß sichzum Ökomarketing wandeln. Es darf als Denk und Operationsstil nicht mehr ausschließlich an einer absatzorientierten Unternehmenspolitik ausgerichtet sein, sondern muß um die Entscheidungsfaktoren der Ökologie erweitert werden Ökomarketing muß der Ansatzpunkt sein, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen.
Ökomarketing muß das Wesentliche des Marketing im wohlverstandenen Sinne wieder in den Mittelpunkt stellen den Menschen, seine Sicherheit und sein Wohlbefinden.
Ökomarketing:
- muss sich an der Begrenztheit der Rohstoffe orientieren und nicht an der Bedürfnisweckung.
- wird die Stabilisierung des Ökosystems und des Energieverbrauchs für wichtiger halten als die Produktion von Wegwerfartikeln.
- muss Alternativen suchen, die den Raubbau an der Natur verhindern und die Folgeschäden des Industriezeitalters beseitigen.
- forciert die ökologisch orientierte Produktentwicklung, minimiert den Verpackungsaufwand und entwickelt Recyclingkonzepte.
- Ökomarketing muß zur Sicherheit des Systems Dezentralisierung anstreben. In der ersten Stufe durch die Umstellung der Industrie. In der zweiten Stufe durch die Entwicklung lokaler Industrieformen und Förderung des Kleingewerbes.
Diese Möglichkeiten machen deutlich, daß die klassischen Bastionen bisher praktizierter Unternehmens- und Wirtschaftsstrategien ins Wanken geraten. Die Vernetztheit von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Umwelt machen die neuen Ansätze nicht einfacher. Wer sich hierfür einsetzt, braucht Mut.
Was wir brauchen sind aufgeschlossene Unternehme und Unternehmen, die aufgeschlossen sind, Neuland zu betreten. Die ersten werden die besten Chancen haben.
Vorwärts zum Ursprung: Märkte und Möglichkeiten
Jeder Marketingmann weiß aus zahllosen Analysen, wo es Probleme gibt, da gibt es auch Möglichkeiten. Ich kann Ihnen versichern, daß sich aufgrund der heutigen Probleme – ein Weltkrieg außer acht gelassen – sich vielfältige Möglichkeiten für ökologisch orientiertes Wirtschaften ergeben.
Beispiele aus der Presse sind Ihnen geläufig. Ich möchte nur einige hiervon aufzählen. Gute Entwicklungschancen wird allen Märkten vorausgesagt, die im weitesten Sinne die Erhaltung der Umwelt und die Verbesserung der Lebensqualität anstreben. Der Unterhaltungs- und Dienstleistungsmarkt. Das Handwerk und der ökologische Landbau. Er ist energieunabhängiger, kostensparender und umweltfreundlicher. Die biologische Schädlingsbekämpfung macht Fortschritte und eine Reihe von Entwicklungen aus dem Bereich der Mittleren Technologie, wie Biogasanlagen, neue Landwirtschaftsmaschinen sind hoffnungsvolle Ansätze. Die Abfallwirtschaft steht vor großen Aufgaben. Neue Recyclingverfahren müssen entwickelt werden. Im Bereich der Energieversorgung wird über pionierhafte Versuche berichtet.
Erst letzthin hat ein Bastler in Kalifornien den ersten Flug mit einem Solarflugzeug geschafft, und zwar trotz des Widerstandes der Behörden. Das Beispiel bietet keinen Grund zum Lächeln: „Waren es nicht Privatleute, die Flugzeuge mit eigenem Material in kleinen Räumen konstruierten und damit die Grundlagen für eine Industrie legten?“
Auch unsere Beratungsgruppe befaßt sich neben klassischer Unternehmens- und Kommunikationsberatung mit einer Reihe von alternativen Ideen. Wir haben ein Recyclingmodell für Altpapier, ein Refillkonzept für Kosmetik, ein Kooperationskonzept für Kleinbrauerein, eine Kampagne für den Vogelschutz und Strategien für den ökologischen Landbau erarbeitet, um nur einige Beispiele zu nennen.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen zwei Projekte vorstellen. Sie sind im“‚Hinblick auf ökologisches Denken und vernetzte Auswirkungen besonders interessant.
Projekt Vogelland
Ich fasse mich kurz. Wer interessiert ist, kann ausführliches Material erhalten.
Als Folgeprojekt unserer Aufklärungskampagne „Rettet die Vögel“ mit dem von der Deutschen Lufthansa geförderten Bildband, zu dessen Autorenteam Frederic Vester und Horst Stern gehören, stehen wir jetzt vor der Verabschiedung eines im Buch vorgestellten Naturschutzprojektes, das sich als rentables Anlageprojekt herausstellt.
Das Projekt Vogelland. Extrem gefährdet sind alle an Wasser gebundenen Vogelarten. Besonders zu den Zeiten des Vogelzuges spitzt sich die Situation in der BRD zu. Unser Projekt sieht vor, vergleichbar mit Raststätten an der Autobahn, Raststätten und Lebensräume für Wasservögel zu schaffen. vorhandene Feuchtgebiete oder Kiesgruben werden durch bauliche Maßnahmen in ideales Vogelland verwandelt. Integrierte Beobachtungsanlagen, ein Informationszentrum, ein Inselcafe sowie kleine Geschäfte bieten das attraktive Angebot für Besucher. Die Gesamtkalkulation, basierend auf den Besucherzahlen und sonstigen Einnahmequellen, machen das Projektwirtschaftlich interessant. Noch in diesem Jahrwill die Friedrich-Naumann-Stiftung ein erstes Gebiet unterstützen. Eine Brauerei hat die Kooperation zugesagt, Ganzheitlich gesehen sind die Vorteile überzeugend:
Natur hat Priorität, Bedrohte Vogelarten erhalten Lebensraum. Arbeitsplätze werden geschaffen. Investoren erschließen sich eine interessante Möglichkeit. Das Beispiel schlägt das Vorurteil: Naturschutz kostet Geld und verhindert die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Projekt Ökohaus
Im Konzept erarbeitet ist unser Modell Ökohaus. Wir planen ein Bauprojekt für 10 Familien, das in vierfacher Hinsicht interessante Aspekte bietet:
Finanziell: Für 3 Millionen läßt sich ein Haus besser bauen als 10 Häuser für 300.000 DM. Die einzelne Familie bekommt mehr Wohnqualität für ihr Geld.
Sozial: Die Wohneinheiten werden nicht über Anzeigen verkauft; sondern die Hausgemeinschaft muß sich aus Bekanntenkreisen rekrutieren. Ein erster Versuch zur Bildung neuer „Dorfgemeinschaften“.
Ökologisch: Berücksichtigung aller bisherigen alternativen Bautechnologien und Innovationen von Energieversorgung bis Wasserspeicherung. Entwicklung neuer ökologisch orientierter Produkte gemeinsa mit Partnerfirmen. Geringere Bodenfläche als bei Hochhäusern und Einzelbauweise. Lebensraumgestaltung und nicht Zerstörung
Wirtschaftlich: Gewerbliche Kleinbetriebe und Handwerker erhalten mit dem Ziel regionaler Versorgung Geschäftsräume, damit die Vielfalt und nicht die Einfalt gefördert wird.
Mut zum vorstellbaren
Die Fallbeispiele „Vogelland“ und „Ökohaus“ waren vorstellbare Ideen, die realisierbar wurden. Sie sollen Ihnen Mut machen, sich wieder an neuen und richtungsweisenden Ideen und nicht nur erprobten Möglichkeiten zu orientieren.
Meine offene Kritik sowie die Vereinfachung und Dramatisierung der Themenbereiche sollte in Ihnen nicht Empörung, sondern Bereitschaft wecken, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.
Wenn Sie einmal ehrlich gegen sich selbst sind, nicht in der „Ja-aber-Argumentation“ verhaften bleiben, wie z . B . „Wir haben die schärfsten Auflagen, wir werden konkurrenzunfähig“, sondern Ihr erlerntes und trainiertes Denken einmal ablegen, dann fühlen Sie, daß Vieles nicht mehr im Lot ist und mein Apell an Sie gerechtfertigt ist.Wer sonst außer Ihnen sollte die Probleme lösen? Fangen Sie morgen damit an und stellen Sie im Sinne des Ursprünglichen vieles infrage.
Fragen Sie sich und Ihre Mitarbeiter
- Sind sie bereit und offen, neu zu denken?
- Klafft Ihre berufliche und private Meinung auseinander oder sind Sie voll von dem überzeugt, was Sie tun?
- Sind Sie ausreichend sensibilisiert und geschult für ein ökologisch orientiertes Management?
- In welchen Bereichen können Sie sofort Alternativen zum Bestehenden forcieren?
- Ob Sie noch den Mut zum „Infragestellen“ haben.
Fragen über Fragen – und wo sind die Antworten? Sie können sie nicht von mir erwarten. Die Lösung unserer Probleme überschreitet die Möglichkeiten eines Einzelnen bei weitem. Ich möchte deshalb zum Schluß vorschlagen, eine Idee zu verfolgen, zu deren Realisierung Karl Steinbuch einmal aufgefordert hat: Die Einrichtung von „Klöstern“ für kreatives Denken. Losgelöst von der Hektik und den Zwängen unseres Wirtschaftssystems sollten interdisziplinäre Gruppen neue Richtlinien erarbeiten, die zu einer neuen Ordnung führen, einer Ordnung, die die Welt mehr denn je braucht.
Wir sind verpflichtet und aufgrund unserer Erfahrung in der Lage, Wege aufzuzeigen, die den weniger industrialisierten Staaten helfen können, nicht erst in die Misere zu kommen, in der wir heute stecken.
Fazit
Meine Aufgabe, dieses Referat zu halten, bestand darin, Ihnen aus meiner Sicht als neue Denkanstöße zu geben.
Ich hoffe, daß Sie, die Kapitäne unseres Wirtschaftssystems, meine Markierungsbojen verstanden und nicht mißverstanden haben. Daß Sie mir glauben, daß es darum geht, der Evolution die Tür zu öffnen mit Mut, Zuversicht und Kreativität nach dem Leitspruch:
Mit Veränderung leben die meisten, gegen Veränderung leben die Dümmsten, von Veränderungen leben die Fähigsten.
Das ist nicht der Schluß meines Referates, mit Respekt vor diesem Symposium und als Würdigung des Gastgeberlandes möchte ich mit den Worten des Berner Pfarrer Kurt Marti schließen:
„Wo kämen wir hin
wenn alle sagten
wo kämen wir hin
und niemand ginge
um einmal zu schauen
wohin man käme
wenn man ginge.“
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rudolf L. Schreiber
01-02-1980