Alpenforum Umwelt und Wirtschaft 1995

Unternehmen Alpen –
Zukunft durch regenerative Energie


Beitrag Rudolf L. Schreiber, Pro Natur GmbH, Frankfurt am Main


Sehr geehrte Damen und Herren,

es liegt mir fern, die vorherigen Beiträge als Kassandra des Tages zu relativieren, im Gegenteil, ich halte die Energiefrage für eine Schlüsselfrage unserer Zukunftsgestaltung. Ich möchte jedoch vermeiden, daß bei der notwendigen Fokussierung auf ein Thema der Blick für das Ganze verloren geht. Unser zukünftiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem muß sich an den Grenzen der Biosphäre orientieren, an deren endlichen Ressourcen einerseits und begrenzten Belastungsfähigkeit andererseits. Konkret:

Wir dürfen dem System Erde nicht mehr Rohstoffe entnehmen, als nachwachsen, und es nicht stärker belasten, als es sich regenerieren kann.

Da Forderungen dieser Art theoretischer Natur sind und die globale Entwicklung wohl kaum zu bremsen ist, scheint es sinnvoll zu sein, auf Regionen zu konzentrieren und machbare Konzepte vor Ort umzusetzen. Die Fragen der Energieerzeugung, des Energieverbrauchs und der -einsparung sind hierbei von tragender Bedeutung. Im Prinzip müßte Energie extrem teuer werden, um zu verhindern, daß wir weitermachen wie bisher.

Unser Wirtschaftssystem ist nämlich energiesüchtig und macht selbst vor dem ehemals weitgehend naturintegrierten Produktionskreislauf der Landwirtschaft nicht halt. Nachstehendes Beispiel soll dies verdeutlichen:

Die Erzeugung von chemischen Düngemitteln für die Landwirtschaft verbraucht eine Menge Energie; ebenso der hohe Maschineneinsatz, die zentralisierte, industrielle Lebensmittelproduktion und der später notwendige Transport. Ein Schwein aus Holland, in Deutschland gemästet, dessen Schinken in Tirol geräuchert und, scheibenweise in Folie eingeschweißt, in Hamburg verkauft wird, ein solches Schwein bzw. sein Schinken hat mehr Energie verbraucht, als es uns an Nahrungsmittelenergie zurückgibt. Experten schätzen, daß der Energieverbrauch bei Nahrungsmitteln rund 50 % höher liegt als der Energieertrag der erzeugten Produkte.

Wie geht es in den Regionen weiter?

Nun ist anzumerken, daß Regionen unweigerlich in die globalen ökologischen Kreisläufe und Stoffströme sowie ökonomischen Netzwerke eingebunden sind. Eine Orientierung zu regionaler Kreislaufwirtschaft kann folglich nicht losgelöst, sondern muß integriert gesehen werden. Regionen sind begrenzte Räume der Biosphäre, Teile der Erde. Vielleicht ist es jedoch möglich, durch eine Regeneration der Regionen einen Beitrag zur Erhaltung der Erde zu leisten. Regionen sind deshalb Aktions- und Hoffnungszonen für ein neues Denken und Handeln. Ein Denken, das von den Grenzen der Belastbarkeit der Biosphäre abgeleitet ist und in der Region zu konkreten Taten führt:

  • Einem Naturschutz, der die Probleme der Wirtschaft mitdenkt und einer Wirtschaft, die die Belange des Naturschutzes akzeptiert. Kurzum, zu einer Regionalentwicklung im Einklang mit der Natur.
  • Einer Produktion mit möglichst hohem Prozentsatz regionaler Rohstoffe bei dezentraler Produktion und der Verkürzung von Transportwegen.
  • Zu regionalen Entwicklungszentren, die die Aufgabe der Vernetzung aller Partner auf innovativem Wege übernehmen und neue Konzepte entwickeln.

Die Sicherung unserer Zukunft wird weitgehend von der Stabilisierung der Regionen abhängig sein. Es kommt deswegen darauf an, die regionalen Strukturen zu stärken und die Wertschöpfung zu erhöhen. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß heute in Europa rund 95 % der Waren- und Kapitalströme in großräumigem Austausch zirkulieren und nur noch 5 % in der Region verbleiben. Das muß sich ändern: Der Anteil regionalwirtschaftlicher Kreisläufe und der Wertschöpfung muß von 5 auf mindestens 25 – 30 % gesteigert werden.

Kreislaufwirtschaft ante portas?

Der Begriff „Kreislaufwirtschaft“ bezog sich ursprünglich auf das „Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen“ vom 27. September 1994. Ab 6. Oktober 1996 wird es wirksam und löst damit das Abfallgesetz vom August 1986 ab. Es zielt konkret auf einen Übergang von der Wegwerf- zur Kreislaufwirtschaft, zumindest in der Abfallwirtschaft. Kernstück des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist eine neue Produktverantwortung mit dem Vorrang der Abfallvermeidung.

In der Zwischenzeit wird unter „Kreislaufwirtschaft“ wesentlich mehr verstanden als eine Neuorientierung in der Abfallwirtschaft. Kreislaufwirtschaft wurde zu einem Schlüsselwort der ökologisch orientierten Regionalentwicklung. Sie hat nicht nur zum Ziel, Abfallkreisläufe zu schließen, sondern vielmehr Produktionskreisläufe zu schaffen und die Partner einer Region miteinander zu vernetzen.

Regionale Kreislaufwirtschaft strebt den ökologischen Landbau ohne Chemie an, zielt auf die Erhaltung der Kulturlandschaft zur Sicherung der regionalen Lebensqualität und des Kapitals für einen ländlichen Tourismus. Sie setzt auf mittelständische Unternehmen, handwerkliche Produktion, die Schaffung von Arbeitsplätzen und letztendlich auf die Vermeidung von Verpackungen und Abfällen sowie kurze Transportwege. „Regionale Kreislaufwirtschaft“ ist kein realitätsfemer Überbau oder eine politische Worthülse, sondern ein Handlungskonzept für konkrete regionale Wirtschaftsbeziehungen und Infrastrukturen. Ihre wesentlichen Ziele sind die Erhaltung der ökologischen Substanz und die Stärkung des wirtschaftlichen Potentials in der Region.

Die Einführung einer regionalen Kreislaufwirtschaft wird mit Sicherheit nicht einfach sein und erfordert ein neues Denken mit der Einsicht, daß weiteres, quantitatives Wirtschaftswachstum keine unbedingte Voraussetzung für die Sicherung unserer Gesellschaft und Wirtschaft ist. Wir brauchen eine qualitative Wachstumswirtschaft, die Umweltschäden vermeidet, um die Folgekosten für die Sanierung einzusparen. Wir benötigen möglichst geschlossene Kreisläufe in einem weitgehenden Einklang mit der Natur.

Regionale Verkehrskreisläufe

Der weltweite Transport von Lebensmitteln per Schiff und Flugzeug sowie der subventionierte Lkw-Verkehr in der EG hat nicht nur extreme Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Lebensweise, er hat auch Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Produkts und die Qualität der Lebensmittel:

  • Transporte wirken sich über große Entfernungen negativ auf die natürlichen und menschlichen Lebensgrundlagen aus; die externen Umweltkosten werden durch die Gesellschaft getragen.
  • Lange Transportwege verringern bei hohem und noch immer steigendem Verkehrsaufkommen die Zuverlässigkeit des Transportes, die bei Nahrungsmitteln so wichtig ist.

Eine Transportwege-Analyse in der Rhön im gastronomischen Bereich hat die Dramatik verdeutlicht. Ein Steak auf dem Teller eines Gastes in einer Rhöner Gaststätte hat bereits – aus Südamerika kommend – über 10.000 Kilometer per Schiff, Lkw und Pkw hinter sich gebracht. Die Kartoffeln kommen zum Teil aus den Niederlanden, werden in Oldenburg zu Pommes Frites verarbeitet und landen nach etwa 460 Transportkilometem auf dem Rhöner Tisch.

Schätzungen in der Rhön ergaben, daß derzeit nur rund 5 % der in der Gastro-nomie angebotenen Nahrungsmittel aus der Rhön stammen, jedoch etwa 50 – 70 % der Nahrungsmittel aus der Rhön kommen könnten.

Regionale Energiekreisläufe

Das Thema Energie wurde bereits ausreichend behandelt. Es geht hier um eine sinnvolle Energiewirtschaft in der Region durch eine Abkehr von der traditionellen Energieversorgung. Neben allen nur möglichen Maßnahmen der Energieeinsparung und der Förderung alternativer und lokaler Energiequellen sind neue Technologien und Energiesymbiosen zu fördern.

Regionale Abfall-Kreislaufwirtschaft

Das oberste Ziel der Abfallwirtschaft ist die Müllvermeidung. Wir benötigen deswegen innovative Produkt- und Versorgungssysteme in der Region, die Förderung der Mehrwegverpackung für regionale Firmen, die Entwicklung neuer Containersysteme sowie Frischdienste für regionale Produkte. Das Recycling von Produkten ist zwar besser als Wegwerfen, jedoch außer der Kompostierung organischer Abfälle keine wirkliche Kreislauflösung:

  • Bei jedem Recycling-Prozeß entstehen Schadstoffe
  • Bei jedem Recycling-Prozeß entstehen Verunreinigungen
  • Jeder Recycling-Prozeß verbraucht Energie und fördert den Treibhauseffekt

Um Abfall zu vermeiden, muß die Umwandlung von Energie und Rohstoffen in Wegwerfprodukte vermieden und zu neuen Produktangeboten ermuntert werden.

Regionale Vermarktungsstrategien der Landwirtschaft

Eine wichtige Strategie zur Förderung der regionalen Landwirtschaft ist der Aufbau der Direktvermarktung. Sie hat zwar ihre Grenzen hinsichtlich Marktpotential, Arbeitsbelastung der bäuerlichen Betriebe sowie Umweltbelastung durch die zunehmenden Fahrten der Verbraucher zu den Höfen, doch sie ist ein Schritt zur Stabilisierung der bäuerlichen Betriebe und zur Erhöhung der Wertschöpfung in der Region. Zahlreiche Maßnahmen in dieser Richtung sind bereits praktiziert. Viele Bauern verkaufen bereits ab Hof, beliefern den regionalen Bauern- und Wochenmarkt und streben eine engere Zusammenarbeit mit der regionalen Gastronomie an.

Regionaler ländlicher Tourismus

Ein bedeutender Markt zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Region ist der regionale Tourismus. Er wird zunehmend durch den Trend zu einem „sanften oder ökologisch orientierten Tourismus“ geprägt. Die Bayerische Staatsregierung stellt seit Jahren Förderprogramme bereit und hat eine Schriftenreihe für umweltfreundliches Wirtschaften herausgegeben. Der „Leitfaden für umweltbewußte·Hotel- und Gaststättenbetriebe“ wurde zu einem Bestseller des Umweltministeriums. Er motivierte zur weiteren Herausgabe von Leitfäden für Altenheime, Brauereien und Fuhrparks. Die Initiativen des Umweltministeriums zielen darauf ab, mittelständische Betriebe ökologisch zu orientieren und eine verstärkte Zusammenarbeit in der Region zu fördern.

Unternehmen Alpen – warum nicht?

Der provokative Untertitel des Forums „Unternehmen Alpen“ verführt zu einer vorstellbaren Vision, mit der ich zum Schluß Mut zum Aufbruch ins dritte Jahrtausend machen möchte. Die Probleme der Alpenregion sind zur Genüge bekannt. Es fehlt nicht an weiteren Untersuchungen und Gutachten, sondern an konkreten Handlungen, die sicherstellen, daß bereits machbare Konzepte umgesetzt werden. Stellen wir uns einmal vor, der Alpenraum würde einer Alpenholding gehören, bzw. eine Dachorganisation wäre mit dem Management beauftragt. Inhaber der Alpenholding wären mit je 50 %iger Beteiligung eine Ökologie AG und eine Ökonomie AG. Beide Aktiengesellschaften haben eine Vielzahl von Untergesellschaften, die zum Teil sehr unterschiedliche Interessen vertreten. Einige vertreten radikal die Interessen des Naturschutzes, andere die der Wirtschaft und wieder andere verfolgen eigene politische bzw. gesellschaftliche Ziele.

Von der Holding würde jedoch eine bestimmte Unternehmenskultur verfolgt und Richtlinien erlassen, die von allen Untergesellschaften verbindlich einzuhalten sind. Eine der Grundregeln wäre hierbei, daß Eigeninteressen von Unterfirmen nicht das Gesamtziel gefährden dürfen. Die Holding will überleben, sie will das Kapital Natur in der Alpenregion sichern und durch hohe Wertschöpfung Gewinn erzielen.

Da Regionen jedoch nicht isoliert gesehen werden können, müssen die Rahmenbedingungen bundesweit, europaweit, ja weltweit verändert werden. Wir benötigen mehr Marktwirtschaft statt Subventionswirtschaft, das heißt der Abbau der Subventionen, zum Beispiel für die Landwirtschaft in Europa und den Lkw-Transport. sind abzuschaffen. Wir benötigen gerechte Preise, die alle echten Kosten, auch die Umweltfolgekosten, enthalten und die nach Ernst Ulrich von Weizsäcker „die ökologische Wahrheit sagen“.

Bedingungen

Nur wenn Rahmenbedingungen dieser Art im Großen verändert werden und die Regionen sich auf ihre Stärke besinnen, werden wir der weltweiten Forderung nach „Sustainable Development“, einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, gerecht werden können. Es bedarf jedoch nicht nur der Richtlinien und neuer Konzepte, sondern auch einer neuen Einstellung der Gesellschaft. Ohne Einschränkung in der Produktion und im Konsum wird der neue Weg nicht beschritten werden können.

Die Existenz zukünftiger Generationen kann nur gesichert werden, wenn eine Umorientierung erfolgt und wir uns an einer qualitativen Bedarfsdeckung und nicht länger an einer quantitativen Bedarfsweckung orientieren. Wichtig ist deshalb, daß wir eine umfassende Modernisierung des Gesellschaftssystems, der politischen und wirtschaftlichen Handlungsstrukturen und ein in Richtung Umwelterhaltung orientierten Wertewandel einleiten.

Bleibt zu hoffen, daß sich die Alpenregion von der Landschaft zum „Unternehmen Alpen“ entwickelt und sich unter dem Dach eines gemeinsamen Konzeptes eine Vielzahl von Regionen auf eine überschaubare Kreislaufwirtschaft ausrichtet.

Rudolf L. Schreiber